Während über die Finanzierung der Nachhaltigen Entwicklungsziele debattiert wird und Entwicklungshilfeorganisationen schon seit Jahren eine Erhöhung der Hilfen fordern, verlieren die „Entwicklungsländer“ jährlich circa 200 Milliarden US Dollar potenzieller Staatseinnahmen an Steueroasen. Und dabei sind die ärmsten Länder südlich der Sahara und in Asien am stärksten betroffen. Durch illegale Kapitalströme verlieren sie jährlich einen Betrag, der 4,5% ihres BIPs ausmacht. Für jeden US Dollar, der als Entwicklungshilfe in diese Länder fliesst, fliessen 10 US Dollar durch Steuerhinterziehung oder -vermeidung wieder ab.
Während Banken mit Milliarden an Steuermitteln gerettet wurden, haben reiche Privatpersonen allein 18,5 Billionen (!) US-Dollar in Steueroasen versteckt. Das ist ¼ der globalen Reichtümer. Und dabei sind die versteckten Steuermilliarden von multinationalen Firmen noch gar nicht eingerechnet. Die Regierungen weltweit verlieren mehr als 3,1 Billionen US Dollar an jährlichen Steuereinnahmen.
Wie ist es möglich, dass solch immense Summen am Fiskus vorbeifliessen? Wer sind die Bösewichte in diesem Spiel? Wer hat das System dahinter „erfunden“ und welche Staaten erhalten es aufrecht?
Über die üblichen Verdächtigen …
Auf den ersten Blick scheint es so, als wären die Täter unter den üblichen Verdächtigen zu finden: korrupte Regime, reiche Eliten und multinationale Konzerne. Korrupte Regime in den Schwellen- und „Entwicklungsländern“ haben seit den 1970er Jahren private Reichtümer in Steueroasen angesammelt, mit denen die komplette Verschuldung ihrer Länder getilgt werden könnte. Oftmals floss die Hälfte der von „Entwicklungsländern“ aufgenommenen Schulden sofort unter der Hand auf die Schweizer Konten der Eliten. Teilweise zahlen die BürgerInnen dieser Länder noch heute die Zinsen und den Abtrag der damals aufgenommenen Schulden. Im Klartext: Sie zahlen heute noch für die privaten Reichtümer ihrer (alten) Herrscher.Aber es sind nicht nur die Eliten der „Entwicklungsländer“. Auch reiche Privatpersonen aus Industrieländern nutzen Steueroasen, um ihr Geld vor den Steuerbehörden zu verstecken. Deutsche Fussballmanager und Konzernlenker bilden hier nur die Spitze des Eisbergs. Steuerfahnder und Bundesländer geben wiederholt Millionen-Beträge aus, um sogenannte Steuer-CDs zu kaufen. Diese CDs enthalten zig tausende Datensätze mutmasslicher Steuerbetrüger – was das Ausmass des Problems verdeutlicht.
Ebenso schädlich sind die Praktiken der sogenannten multinationalen Konzerne – Unternehmen also, die in mindestens zwei Ländern aktiv sind. Fast 75% der 500 grössten US-Unternehmen betreiben Tochterfirmen in Steueroasen. Allein die 30 grössten „Steuervermeider“ betreiben über 1.200 Tochterfirmen in Steueroasen (Tabelle der grössen Übertäter). Einigen Studien zufolge machen die „Steuervermeidungen“ der multinationalen Konzerne 2/3 aller Steuerverluste aus. Und allein durch die multinationalen Konzerne verlieren die „Entwicklungsländer“ jährlich 100 Milliarden US Dollar an Steuereinnahmen.
… die unerwarteten Sünder: Bono und nationale Steuerbehörden als Steuervermeider …
Bei näherem Hinsehen werden jedoch auch ganz andere „Steuervermeider“ sichtbar. Selbst Bono, Frontmann der Band U2 und langjähriger Entwicklungsaktivist, lässt die Einnahmen seiner Band lieber in den Niederlanden versteuern, als im teureren Irland. Darauf angesprochen entgegnete er:… just because he had campaigned for a fairer society it did not mean he had to be “stupid” in business. (Nur weil er sich für eine gerechtere Gesellschaft einsetze, hiesse nicht, dass er bei geschäftlichen Belangen töricht handeln müsse)
Dabei verkennt er, dass Steueroasen als eine Ursache einer unfairen Gesellschaft gelten. Und dass sie zur Umverteilung des Wohlstands von den Armen an die Reichen beitragen – wie in einem zweiten Beitrag zu diesem Thema deutlich wird. Bono streitet also für eine gerechtere Gesellschaft und bedient sich gleichzeitig eines Systems, welches die Gesellschaft erst ungerecht macht und die Armen ausbeutet.
Den Gipfel der Unverschämtheit erklimmen allerdings noch andere. Die britischen Steuerbehörden verkauften 600 ihrer eigenen Gebäude an eine Firma in einer Steueroase, um Steuern zu sparen. Und ein britischer Minister, verantwortlich für die Bekämpfung der Steuervermeidung von Unternehmen, gründete selbst ein Unternehmen auf den Bermudas – ebenfalls zur Steuervermeidung. Die Kultur der Steuervermeidung ist also so tief in die Gesellschaft eingesickert, dass selbst verantwortliche Minister und Institutionen das System aufrechterhalten und dabei ihren eigenen Staat um Steuereinnahmen berauben.
… und die nicht so offensichtlichen Tathelfer
So sehr man diese Steuervermeider und Steuerhinterzieher verurteilen mag, genauso verurteilenswert sind die Länder, die die Systeme der Steueroasen aufrechterhalten. Steuerhinterziehung funktioniert nur dann, wenn Gelder in einen „sicheren Hafen“ transferiert werden können, in dem keine oder kaum Steuern zu zahlen sind. Ein zweites Merkmal dieser Steueroasen ist die Verschwiegenheit – das berühmte Schweizer Bankgeheimnis beispielsweise. Steueroasen geben keine Informationen über Konten und ihre Eigentümer an andere Staaten weiter. Auf den Cayman Inseln ist es sogar gesetzlich verboten, auch nur Fragen zu Konten zu stellen. Journalisten können dafür strafrechtlich verurteilt werden und ins Gefängnis wandern. Durch diese Verschwiegenheit verschwindet das versteckte Vermögen aus dem normalen Geldkreislauf und ist für Steuerbehörden nicht mehr erreichbar.Doch wer hat das System der Steueroasen überhaupt „erfunden“ und wer hält es am Laufen? Stimmt das öffentliche Bild der störrischen Schweizer, der bösen Cayman-Inseln und weiterer für Fahnder unzugänglicher Karibik-Paradiese? Bei der Beantwortung dieser Fragen tritt Überraschendes zutage.
Treibende Kräfte – westliche Staaten!
Wer hats erfunden? Die Schweizer! Das Schweizer Bankgeheimnis wurde 1934 in einem Gesetz festgehalten, um das Geld der jüdischen Deutschen vor dem Zugriff der Nazis zu schützen. So jedenfalls will es ein auch heute oftmals wiederholter Mythos. Doch dieser Mythos ist schlicht falsch. 1934 hatten die Nazis noch gar keine Kontrolle über die Geheimdienste oder andere Institutionen, die Geld in der Schweiz hätten beschlagnahmen können. Ganz im Gegenteil: Die Schweiz gewährte den Nazis noch 1941 einen Kredit und lieferte Waffen und Ausrüstung. Und die Schweiz diente auch Nazi-Grössen wie Göring, Goebbels und Hitler selbst als eine Art Safe, um gestohlene Beutekunst zu verstecken. Das Schweizer Bankgeheimnis fusst auf einer langen Historie von Neutralität und Verschwiegenheit. Es wurde gesetzlich verankert, da die Banken aufgrund vorheriger Skandale Angst um die Einlagen ihrer ausländischen Kunden hatten und den Staat zur Gesetzgebung aufforderten – und nicht aus humanitären Gründen.Cayman, Jersey, Schweiz? Deutschland, die USA, und Grossbritannien!
Steueroasen sind nicht nur in der Karibik und den Schweizer Alpen zu finden. Dieselben Strukturen der Geheimhaltung und der ausbleibenden Besteuerung fremdländischen Kapitals sind auch in scheinbar unverdächtigen Ländern zu finden. In einem aktuellen Ranking der Schattenfinanzplätze steht die USA auf Platz 3, Deutschland auf Platz 8, Japan auf 12, Grossbritannien auf Platz 15 und die Türkei und China auf den Plätzen 19 und 20.In Deutschland liegen 2,5 bis 3 Billionen Euro von Steuerausländern versteckt. Diese Vermögen bleiben steuerfrei, da die Anleger keine Abgeltungssteuer auf ihre Zinseinnahmen zahlen müssen. Von der Höhe ist das vergleichbar mit der Schweiz. Der deutsche Staat verliert dadurch 21 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Gut 1/10 der in Deutschland versteckten Gelder, 300 Milliarden Euro, stammen aus Schwellen- und „Entwicklungsländern“. 300 Milliarden, die in diesen Ländern weder versteuert wurden, noch in die Realwirtschaft investiert wurden – und das nur, weil Deutschland diese Gelder mit dem Versprechen auf Steuerfreiheit und Verschwiegenheit anlockt (weitere Informationen zur Steueroase Deutschland). Während Deutschland also selbst Milliarden Euro an Staatseinnahmen an Steueroasen verliert, fungiert es gleichzeitig selbst als Steueroase für fremdländisches Kapital.
Ein besonderer Fall unter den Steueroasen ist Grossbritannien. Über seine Quasi-Kolonien, u.a. den Cayman Inseln, baute sich das Königreich ein „Spinnennetz“ von Steueroasen auf. Dies war möglich, da die englische Königin den Gouverneur der Cayman Inseln ernennt und weil die Gesetze der Caymans und weiterer Steueroasen (u.a. die britischen Jungferninseln und Bermuda) von England genehmigt werden müssen. Auch gibt es in London die City of London Corporation, eine „freie Stadt“, die von der Steuer Grossbritanniens befreit ist und in der Unternehmen genauso ein Wahlrecht haben wie Bürger. Dieses seltsame Konstrukt gilt ebenfalls als Steueroase und trägt zur besonderen Rolle Grossbritanniens bei. Würde dieses von Grossbritannien kontrollierte „Spinnennetz“ aus Steueroasen als eine Einheit betrachtet, so würde Grossbritannien mit grossem Abstand als weltweit grösste Steueroase gelten.