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Chipproduktion in der Multikrise: Die materielle Seite künstlicher Intelligenz

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Die materielle Seite künstlicher Intelligenz Chipproduktion in der Multikrise

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Wirtschaft

Der Hype um sogenannte „künstliche Intelligenz“ (KI) erscheint uns in den meisten Debatten in rein virtueller Gestalt; als Versprechen einer quasi voraussetzungsfreien Automatisierung nahezu aller Lebensbereiche durch eine tiefgreifende Neugestaltung von Mensch-Maschine-Interaktionen auf der Basis menschlicher Sprache.

Firmenzentrale des französisch-italienischen Halbleiterherstellers STMicroelectronics in Genf.
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Firmenzentrale des französisch-italienischen Halbleiterherstellers STMicroelectronics in Genf. Foto: Alexey M. (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 4. November 2024
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Die politisch-ökonomischen Konsequenzen dieses technologischen Sprungs, insbesondere die Verstärkung gesellschaftlicher Ungleichheit und Abhängigkeit von einem technokratischen Oligopol (= die wenigen Hüter:innen der grossen Sprachmodelle haben wir bereits in Die Goldgräber der Künstlichen Intelligenz diskutiert.

Einleitung

Eine politisch relevante Verengung breiter Diskurse durch eine Überhöhung des Mainstreams gepaart mit einer zu erwartenden Rechtsverschiebung haben wir in ChatGPT als Hegemonieverstärker untersucht. Die Wechselwirkung sozialer Medien mit Sprachgeneratoren wie ChatGPT reduziert nachweislich diskursive Diversität und fördert gesellschaftliche Fragmentierung.

In diesem Text soll es bewusst um die materielle Seite künstlicher Intelligenz im Kontext mehrfach verschränkter Krisen gehen – insbesondere die ökologische Krise in Verbindung mit der Krise neuer Kriege um eine multipolare Weltordnung. Unser erster Text Klima – das grüne Vehikel der KI-Offensive hat das Thema bereits angerissen. Die KI entpuppt sich hinsichtlich der Klimazerstörung als Brandbeschleuniger und nicht, wie vielfach herbeifantasiert, als zentrales Lösungswerkzeug eines für den Menschen zu komplexen Optimierungsproblems.

Der massive Ausbau von KI-Rechenzentren frisst nicht nur beim Training und im Betrieb der grossen Sprachmodelle enorm viel Energie (ein einziger Trainingsdurchlauf des aktuellen Sprachmodells GPT-4 kostet 64 Millionen Dollar Strom). Die Entwicklung und Produktion der Chips verschlingt Unmengen an Energie und Wasser – zudem werden seltene Metalle wie Germanium und Gallium benötigt, deren Extraktion massive Umweltschäden verursacht. Die meiste Computerhardware hat daher den Grossteil ihrer klimaschädlichen Wirkung bereits entfaltet bevor sie das erste Mal eingeschaltet wird1. Zum energieintensiven Betrieb der Rechenzentren (aufaddierter Stromverbrauch der Prozessoren + deren aktive Kühlung) trägt danach die Entsorgung der mitunter gerade mal zwei Jahre genutzten Höchstleistungs-Hardware ebenfalls zum enormen ökologischen Fussabdruck bei.

Die USA und die EU nehmen derzeit viel Geld und andere Mittel in die Hand, um wieder eine „heimische“ Halbleiterindustrie aufzubauen – mit dem Ziel, die krisenbehaftete, technologische Vorherrschaft gegenüber dem erklärten „Systemrivalen“ China abzusichern. Dabei wird insbesondere die Künstliche Intelligenz als Schlüsseltechnologie ausgemacht: eine Technologie, die ohne die modernsten Mikrochips – designt von Nvidia im Silicon Valley/ USA und hergestellt von TSMC in Taiwan mit weltweit einzigartigen Belichtungsmaschinen von ASML aus Eindhoven/ Niederlande – nicht denkbar wäre.

China hat indes wirtschaftlich und technologisch einen beispiellos rasanten Aufstieg hingelegt – bisher, ohne dass ein Ende in Sicht ist, auch wenn sich das chinesische Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren etwas verlangsamt hat. In einigen Kernbereichen wie Elektromobilität, Hochgeschwindigkeitszügen, erneuerbare Energien und 5G lassen chinesische Unternehmen ihre westliche Konkurrenz inzwischen hinter sich. Sollte keine der Seiten ihre Interessen mit anderen Mitteln durchsetzen können, droht aus dem sich aktuell zuspitzenden Handelskrieg ein heisser Krieg zu werden. Das wirft die praktische Frage auf, ob und wie sich Krieg und eine weitere Militarisierung der Gesellschaft aufhalten lassen.

Chips sind seit ihren Anfängen eine wichtige Militärtechnologie. Wir deuten die geplanten Chipfabriken auch als Teil der notwendigen wirtschaftlichen Entflechtung zur Kriegsvorbereitung. Diese nun auch hierzulande entstehenden Chipfabriken (z.B. Intel in Magdeburg bzw. TSMC und Infineon in Dresden) sind daher Punkte, an denen Widerstand ansetzen kann und sollte, um in der derzeitigen multiplen Krise eine linke Kritik sowohl an fortschreitender ökologischer Zerstörung als auch an einer Normalisierung der Kriegslogik zu formulieren. Die Chipindustrie ist zugleich hochspezialisiert und global integriert: ganze Lieferketten hängen daher von den Produkten und dem Wissen einzelner Unternehmen und Standorte ab.

Dieser Text versteht sich als Einladung zur Debatte an herrschaftskritisch, ökologisch und antimilitaristisch Bewegte. Wir wünschen uns eine Diskussion und Praxis, die der weiteren Militarisierung und Umweltzerstörung entgegentritt. Lasst uns jetzt aus dieser Zukunft ausbrechen – Keep the future unwritten! Chipboom mit ökologischen Konsequenzen

Der „Chiphersteller“ Nvidia ist aktuell einer der grössten Profiteure des KI-Booms. Bei den Highend-Grafikchips wird die Produktion der Nachfrage längst nicht mehr gerecht. Seit ChatGPT Ende 2022 veröffentlicht wurde, hat sich der Wert des Unternehmens auf über zwei Billionen Dollar rund versechsfacht – und das, obwohl Nvidia selbst keine Chips produziert, sondern sie lediglich entwirft und in Auftrag gibt. Nvidia designt spezielle, für das maschinelle Lernen sogenannter künstlich-neuronaler Netze entworfene Hochleistungschips, die einfache Rechenoperationen im Parallelbetrieb vieler zusammengeschalteter „Prozessorkerne“ besonders effektiv abarbeiten können.

Nach einer in den 1960er Jahren aufgestellten (und immer noch gültigen), empirischen Vorhersage („Mooresches Gesetz“) verdoppelt sich über die Weiterentwicklung lithografischer Methoden bei der Chipproduktion die Zahl der Schaltkreise auf gleicher Fläche spätestens alle 2 Jahre. Das kommt in etwa einer Verdopplung der Leistungsfähigkeit der Chips gleich. Dadurch ergibt sich ein quasi-zyklischer Austausch von Computer-Hardware durch neuere, leistungsfähigere Hardware in vielen Anwendungsbereichen.

Dieser stetige Ersatz produziert massive Umweltschäden. Insbesondere in einer von Technokrat:innen avisierten Welt stetig steigender Verdatung und Vernetzung, in der alles mit allem kommunizieren soll (Smartifizierung über 5G-Netze / Industrie 4.0), steigt dieser (zyklische Ersatz-)Produktionsaufwand an Computerchips massiv an.

Zudem steigt das Ausmass ökologischer Zerstörung für die Produktion eines einzelnen Chips mit zunehmender Leistungsdichte: Es dauert drei bis vier Monate, bis eine Siliziumscheibe (Wafer) die verschiedenen Stufen der Verarbeitung zum fertigen Produkt durchlaufen hat. Die Wafer werden in einer wachsenden Anzahl von Prozessschritten aufwändig bearbeitet, in denen mikroskopisch kleine Schichten aufgetragen, Muster eingebrannt und nicht benötigte Teile in vollautomatischen Verfahren abgekratzt werden. Die Spülung mit riesigen Mengen an Reinstwasser ist wichtiger Bestandteil dieser Prozedur.

Gehen wir von einem gleichgrossen Stück einer Siliziumscheibe für einen Computerchip aus, so benötigt die modernste 2nm-Prozesstechnologie zur Herstellung erheblich mehr Strom- (x3,5) und Reinstwasser (x2,3) gegenüber der älteren 28nm-Technologie. Der Ausstoss an Treibhausgasen (in CO2-Äquivalenten) steigt um das 2,5-fache (je Computerchip).2

Für den taiwanische Chiphersteller TSMC, den grössten Auftragsfertiger der Welt, der unter anderem auch Apple beliefert, bedeutet das aktuell: TSMC ist für sechs Prozent des Stromverbrauchs in Taiwan verantwortlich. Die Ökobilanz ist katastrophal, denn Taiwans Strom speist sich fast zur Hälfte aus schmutziger Kohlekraft. Um die Wafer mit Reinstwasser zu reinigen, verbraucht das Unternehmen pro Tag 150 Millionen Liter Wasser. Und das obwohl Taiwan seit Jahren unter Trinkwasserknappheit leidet. Ausbleibende Regenfälle und Trockenperioden haben die Pegel der Wasserreservoire empfindlich sinken lassen.

In einigen Städten Taiwans mussten bereits das Trinkwasser rationiert und der Wasserdruck reduziert werden, damit die globalen Lieferketten der wichtigen Halbleiter nicht gestört werden. Die Regierung lässt im ganzen Land nach Brunnen bohren und versucht wütende Reisbauern mit Kompensationszahlungen ruhigzustellen.3

In einem Papier vom Oktober 2020 haben Forscher der Harvard University4 öffentlich zugängliche Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen wie TSMC, Intel und Apple verwendet, um zu zeigen, wie mit der zunehmenden Verbreitung von Computern auch deren Umweltschädigungen zunehmen. Es wird erwartet, dass bis 2030 bis zu 20% des weltweiten Energiebedarfs auf die Informations- und Computertechnologie entfallen werden, wobei die Hardware für einen grösseren Teil dieses ökologischen Fussabdrucks verantwortlich ist als der Betrieb eines Systems, so die Forscher: „Der grösste Teil des Kohlenstoffausstosses entfällt auf die Chip-Herstellung, nicht auf die Hardware-Nutzung und den Energieverbrauch“.

Das Ergebnis ist, dass die fortschrittlichsten Chiphersteller schon heute einen grösseren CO2-Fussabdruck haben als einige traditionell umweltschädliche Branchen, wie etwa die Automobilindustrie. Aus den Unternehmensangaben geht beispielsweise hervor, dass die Fabriken von Intel bereits 2019 mehr als dreimal so viel Wasser verbrauchten wie die Anlagen des Automobilherstellers General Motors und mehr als doppelt so viel als gefährlich eingestufte Abfälle erzeugten.

Halbleiter sind die materielle Seite des informationstechnologischen Angriffs

Das Konzept des technologischen Angriffs dient uns dazu, Technologiekritik als Herrschafts- und Gesellschaftskritik zu entwickeln. Um zu verstehen, warum wir Innovationen und technischen ›Fortschritt‹ als Angriff charakterisieren,

„müssen wir uns klar machen, dass gerade die kapitalistischen Innovationstheoretiker:innen und -strateg:innen Innovation als umfassende Offensive konzipieren, als umfassenden Schock. Ein Schock, der auf die Zerstörung und Reorganisation nicht nur der Arbeit zielt, sondern der gesamten Gesellschaft in allen ihren Bereichen, von Arbeit über Verkehr, Familie, bis hin schliesslich zu Erziehung und Kultur. Sie sehen Innovationen nicht schlicht als ›Erfindungen‹. Sie konzipieren sie als Einsatz von Basistechnologien, die das Potential zu umfassenden Zerstörungen oder auch »disruptions« und reorganisatorischen Unterwerfungen und Zurichtungen haben.“5

Der informationstechnologische Angriff, auf den wir uns hier beziehen, ist nicht der erste Innovationsangriff:

„So dienten in der sogenannten »industriellen Revolution« neue Maschinen (Dampfmaschine, automatische Webstühle etc.) dazu, nicht nur überkommene Arbeitsformen und darauf fussende Lebensgewohnheiten zu zerstören, sondern vielmehr die gesamte Bevölkerung ›aufzumischen‹. […] [Eine] darauf folgende Gewaltwelle wurde um die Elektro- und chemische Industrie gestartet. Sie war eng verbunden mit den Formen der Verhaltensdisziplinierung und mentalen Zurichtung durch Taylorismus und Fordismus. Ihr materieller Kern lag im Angriff der Technologie des elektrisch betriebenen Fliessbands und seiner Utopie auf die ganze Gesellschaft. Als sein zentraler ›Erfinder‹ oder ›Innovator‹ nannte der Amerikaner Frederick Taylor selbst sein System ausdrücklich »Krieg« gegen die Autonomie der Arbeiter:innen (zumeist migrantische Bauernarbeiter:innen) und ihre unregulierten Lebensformen.“6

Informationstechnologie als Herrschaftstechnik

Weltweit stellen Informationstechnologien heute eine zentrale Säule in der Stabilisierung und Durchsetzung von kapitalistischer Herrschaft dar – sowohl zivil als auch militärisch/polizeilich. Ubiquitous Computing (zur allgegenwärtigen Erfassung und Verfügbarmachung sämtlicher Alltagsdaten z.B. über das Smartphone) und eine Künstliche Intelligente Modellierung dieser Daten (z.B. zur Verhaltensvorhersage) vor allem mit Techniken des Maschinellen Lernens sind erst durch die enormen Steigerungen der Speicher- und Rechenkapazitäten von Mikrochips in den letzten beiden Jahrzehnten ermöglicht worden.

Die wirtschaftliche Produktivität hängt längst von der Qualität und Verfügbarkeit von IT-Anwendungen und deren Hardware ab, gerade dort wo Arbeitskraft teuer ist. Die Automobilindustrie in Deutschland bekam dies während der Coronapandemie zu spüren, als die Produktion vorübergehend stillstand, da die benötigten Chips bzw. einfache Mikroelektronik aus Fernost nicht verfügbar war.

Das Repertoire an letztlich auf Informationstechnologien und der dafür benötigten Rechenleistung beruhenden Regierungstechniken, auch bekannt als „Digitalisierung“, ist dabei durchaus vielfältig. Nudging etwa scheint gut zum (post-)demokratischen Selbstverständnis der EU zu passen. Schliesslich erlaubt es diese Technik mit hoher Wahrscheinlichkeit, erwünschtes Verhalten zu erzeugen. Ein anderes Beispiel sind die Sozialkreditsysteme, auf die die chinesische Regierung setzt und die einen hohen Druck zu sozial konformen Verhalten auf die Individuen ausüben. Diese unterschiedlichen, sich ergänzenden Herrschaftstechniken, führen zu einer tiefgreifenden Transformation der Gesellschaften. Sie sind daher ein Angriff auf das Leben und die Arbeit der Menschen.

Die Regierungen beider – angeblich vollkommen unterschiedlicher politischer Systeme – erkennen die sich aus der Entwicklung der digitalen Technologien ergebenden Möglichkeiten und fördern deren Durchsetzung. Eine zentrale Wirkung des technologischen Angriffs ist die schöpferische Zerstörung (Schumpeter) existierender Sozialstrukturen und Formen der Gesellschaftlichkeit. Diese hat zwei wichtige Zwecke. Zum einen werden durch den Angriff immer neue Bereiche menschlichen Lebens im Sinne einer ursprünglichen Akkumulation für das Kapital in Wert gesetzt. Zum anderen ermöglicht der technologische Angriff die (näherungsweise) Vorhersage und Steuerung sozialen Verhaltens. Er zielt also darauf ab, eine prädiktive Kontrollgesellschaft herzustellen.

Computerchips sind eine entscheidende Ressource der Kriegsindustrie

Bereits kurz nach der Machtübernahme 1933 begannen die Nazis damit, die deutsche Wirtschaft auf den Krieg vorzubereiten. Der Anteil der Rüstungskosten am BIP stieg von 1933 bis 1938 von 1% auf 20%. Zu den getroffenen Massnahmen gehörte auch der Bau von Stahlwerken, die hoch unwirtschaftlich waren, da sie mit billigem (z.B. sowjetischen) Stahl auf dem Weltmarkt nicht konkurrieren konnten. Der NS-Staat subventionierte die Industrie massiv und rechtfertigte dies mit der Notwendigkeit wirtschaftlicher „Autarkie“. Heute werden von jenen, die ihre nationale Wirtschaft „unabhängig“ von ausländischen Waren und somit bereit für den Krieg machen wollen, nicht mehr in erster Linie Stahl-, Aluminium- oder Kautschukwerke subventioniert, sondern vor allem Chipfabriken und Energiekonzerne.

Die spätestens seit Beginn des Kriegs in der Ukraine massiv gestiegenen Rüstungsausgaben vieler Staaten gepaart mit dem Streben nach wirtschaftlicher „Unabhängigkeit“ in Schlüsselindustrien wie der Halbleiterfertigung und der Energieversorgung sowie die gleichzeitig stattfindende ideologische Aufrüstung („Russland ruinieren“) dienen einem gemeinsamen Ziel: „kriegstüchtig werden.“ So jedenfalls nannte es der deutsche Kriegsminister. Wenn dieses vorläufige Ziel erst einmal erreicht ist, wird es nur noch ein kleiner Schritt sein, auch tatsächlich Krieg zu führen. Russland hat zuletzt gezeigt, wie schnell das gehen kann.

Computerchips sind seit ihren Anfängen eine wichtige Militärtechnologie. Ausgangspunkt in der Entwicklung der ersten Computer war der zweite Weltkrieg. Die ersten Jahrzehnte waren stark von Investitionen und Anforderungen der Militärs geprägt. Obwohl seit den 1970er Jahren durch die Verbreitung von PCs, Laptops und schliesslich von mobilen Geräten im zivile Bereich eine immer umfassendere Digitalgesellschaft aufgebaut wurde, ist der Einsatz für militärische Ziele weiterhin ein relevanter Motor der Halbleiterentwicklung. In riesigen Forschungs- und Entwicklungsprojekten wurden über Jahrzehnte militärisch-relevante Computertechnologien gefördert.

Schon lange werden selbst konventionelle Waffen wie Raketen, Bomben etc. mit Chips ausgestattet. Angeblich musste Russland im Ukrainekrieg wegen der Knappheit an Mikrochips diese zur Umgehung von Exportverboten aus weisser Ware (Waschmaschinen, etc.) ausbauen und in die eigenen Waffensystem einbauen.7 Mit zunehmender Vernetzung und Autonomie der Waffensysteme wird die Leistungsfähigkeit der IT-Systeme und damit auch die Verfügbarkeit von Mikrochips, die die nötige Rechenleistung bereitstellen, immer wesentlicher über die militärische Stärke entscheiden.

Immer mehr KI-Anwendungen halten Einzug in militärische IT-Systeme: Chatbots á la Chat-GPT werden implementiert in Battle Managment Systeme (z.B. »AIP for Defense« von Palantir Inc.8) sowie in Simulationssysteme zur Entwicklung komplexer Entscheidungsverfahren bspw. bei der Abwehr gegnerischer Drohnenangriffe (z.B. »Ghostplay« vom Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr9) oder für Propagandazwecke und gezielten Desinformationskampagnen mit Hilfe von KI-generierten Fake-Bildern und -Texten. Nicht erst seit die Firma OpenAI im Januar 2024 die Zivilklausel zur Nutzung von ChatGPT gestrichen hat, sind die grossen Sprachmodelle zum Dual Use (zivil+militärisch) geworden. Modernste Halbleiter im Zentrum des Kampfes um technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China Im März 2023 verkündete die niederländische Regierung neue Restriktionen für die Ausfuhr von lithographischen Maschinen, also den Belichtungsmaschinen, die zentral für die Herstellung immer leistungsfähigerer Chips sind – auf Druck der US-Regierung. Seitdem wurden die Exportbeschränkungen immer weiter verschärft. Die Maschinen des mit knapp 90% Marktanteil grössten Produzenten von Fertigungsanlagen für Chips, ASML, können seitdem nur noch mit Sondergenehmigung nach China exportiert werden. Ziel dieser Massnahme ist es, es China zu erschweren, eine eigene (Hochleistungs-)Chipproduktion aufzubauen.

China ist bereits jetzt der grösste Chipproduzent der Welt bei veralteten Fertigungstechnologien ab 80nm und hat somit eine durchaus relevante eigene Industrie in diesem Sektor. Allerdings ist diese nicht in der Lage, die entscheidenden Hochleistungschips zu produzieren, welche etwa für moderne Server, Laptops, Smartphones und Grafikkarten benötigt werden. Insbesondere bei Halbleitern in Fertigungstechnologien unter 14nm liegt der Marktanteil des taiwanesischen Konzerns TSMC bei über 90%, wenngleich in den letzten Monaten immer wieder entscheidende Durchbrüche durch chinesische Unternehmen vermeldet wurden.10 Auch insgesamt produziert TSMC deutlich mehr als die Hälfte aller Chips weltweit. Die Auslagerung der Halbleiterfertigung aus den kapitalistischen Zentren nach Taiwan auf die andere Seite des Pazifik war Teil der neoliberalen Globalisierung und der damit einhergehenden Deindustrialisierung in vielen der Zentren selbst.

Insgesamt lässt sich für die Halbleiterindustrie festhalten, dass es einen hohen Spezialisierungsgrad gibt und (globale) Lieferketten an vielen Stellen von einzelnen Unternehmen oder Werken abhängen. Das bereits erwähnte niederländische Unternehmen ASML ist weltweit als einziges Unternehmen in der Lage, die modernsten Fertigungsanlagen zu bauen und warten. ASML selbst ist dafür auf die Produkte hochspezialisierter Zulieferern angewiesen. Der zur Belichtung der Wafer eingesetzte Hochleistungslaser wurde von dem Maschinenbau-Unternehmen Trumpf mit Sitz in Ditzingen entwickelt. Das Spiegelsystem, mit dem diese Laser ins Ziel gesteuert werden, stammt von der Firma Zeiss aus Oberkochen.

Auch Zeiss rühmt sich damit, dass 80% aller weltweit hergestellten Mikrochips mit den eigenen optischen Systemen produziert werden.11 Doch damit nicht genug – in der Halbleiterfertigung selbst werden Hunderte von Chemikalien benötigt. Auch diese können teilweise nur von wenigen Unternehmen hergestellt werden. In Deutschland sind BASF und Merck zu nennen. Und – man ahnt es schon – auch von Merck wird behauptet, dass die hergestellten Chemikalien in beinahe jedem Mikrochip der Welt enthalten sind. Wegen ihrer Bedeutung für die Halbleiterfertigung diskutierte die Bundesregierung im April 2023 Ausfuhrbeschränkungen für die in Deutschland hergestellten Chemikalien nach China.12

China wiederum reagierte im August 2023 mit einer Exportbeschränkung von Gallium und Germanium in die EU. Diese Rohstoffe sind essentiell für die Herstellung von Mikrochips. China ist der weltgrösste Produzent der Mineralien Gallium und Germanium. Die EU bezieht 71 beziehungsweise 45 Prozent davon aus China. Mit Hochdruck versucht die EU samt ihres wichtigsten, westlichen Verbündeten, den USA, eine eigene Rohstoffbasis aufzubauen.

Der Wirschaftskrieg macht keinen Halt vor Verlusten der nationalen Unternehmen

Die Initiativen und Investitionsprogramme der USA, Chinas und inzwischen auch der EU, in der Halbleiterfertigung unabhängiger von Taiwan zu werden, sind nicht neu, sondern datieren mindestens bis in die Mitte der 2010er Jahre zurück. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Mikrochips nicht einfach ein beliebiges Industrieprodukt sind, sondern eine „Schlüsseltechnologie“ darstellen, wie es sich derzeit insbesondere in der Debatte um die Exportverbote für Nvidia-Chips zum Training von KI zeigt.13 Unter „unabhängiger werden,“ „de-coupling“ oder – wie die EU es nennt – „de-risking“ verstehen die Regierungen dieser Länder vor allem, dass ihre Fähigkeit, kapitalistische Gewinne zu erwirtschaften, bzw. ihre Fähigkeit, Krieg zu führen, nicht durch andere Staaten eingeschränkt werden darf. Es kann dabei keineswegs die Rede von einer einseitigen Sanktions- bzw. Protektionspolitik westlicher Staaten sein. Denn auch China ergreift harte Massnahmen, um im „Chipkrieg“ Boden gutzumachen. So verbot die chinesische Regierung grossen Unternehmen im eigenen Land, (Speicher-)chips beim US-Konzern Micron Technology zu kaufen. Diese Chips können in China selbst gefertigt werden – auch wenn der Markt in diesem Segment derzeit (noch) durch andere dominiert wird.

Alle wesentlichen Softwaretools zum Chipdesign gehören westlichen Firmen. China hat weniger als ein Prozent Marktanteil beim globalen Chipdesign. Die Belichtungsanlagen für Hochleistungschips können nur durch den niederländischen Konzern ASML hergestellt werden. Chinesische Firmen hingegen sind nur in stark veralteten Fertigungstechnologien konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt. Derzeit existiert im Chipsektor also durchaus noch ein gewisser Vorsprung der USA vor China, doch er schmilzt rapide. Die USA und die EU sind ausserdem ebenso „abhängig“ von der Fertigung in Taiwan wie China. Die angreifbaren Lieferketten mit Chips aus taiwanesischer Produktion stellen angesichts der wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung aus Sicht der Regierungen ein enormes Risiko dar.

Zumal sich keiner der Staaten sicher sein kann, diese Lieferketten notfalls durch militärische Drohungen und letztlich Krieg aufrecht erhalten zu können. Diese Ausgangslage lässt hoffen, dass das Risiko eines Krieges auf allen Seiten als zu hoch eingeschätzt wird. Denn die US-Regierung will mit allen Mitteln verhindern, dass China weiter aufholt, sowohl in Bezug auf das nötige Know-how etwa im Chipdesign als auch die vorhandenen Fertigungskapazitäten. Die chinesische Regierung ihrerseits hat sich mit ihrem Programm Made in China 2025 das Ziel gesetzt, bis 2049 weltweit führende Produktionsmacht zu werden. In China geht man also davon aus, dass die eigene Wirtschaft von der „regelbasierten Weltordnung“ stärker profitieren kann, als diejenigen, die seit ihrer Durchsetzung nach dem zweiten Weltkrieg die vornehmlichen Nutzniesser:innen waren.

Die punktuelle Abkehr vom Freihandel in den USA und der EU ist die Bestätigung, dass diese Einschätzung auch dort geteilt wird. Das neoliberale Dogma der vergangenen Jahrzehnte wird vor dem Hintergrund des erfolgreichen chinesischen Staatsinterventionismus auch in diesen Ländern zunehmend in Frage gestellt. Um ihre globale Machtpositionen aufrechtzuerhalten, ist die US-Regierung willens, sogar grossen Tech-Konzernen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Apple ist beispielsweise wenig begeistert von der wirtschaftlichen Protektionspolitik der USA gegenüber China. Schliesslich werden die Geräte des Konzerns dort zusammengesetzt, auch wenn sie in Kalifornien designt werden und die benötigten Chips nur in Taiwan von TSMC in ausreichender Qualität und Quantität gefertigt werden können. Anders als Unternehmen wie Google, die gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz chinesische Unternehmen auch als Konkurrenten fürchten müssen, hat Apple von der globalisierten Arbeitsteilung mit China vor allem profitiert und würde diese Geschäfte gerne fortsetzen.

China ist vom „Entwicklungsland“ zum „Systemrivalen“ aufgestiegen

Die Regierungen in den EU-Staaten und den USA haben in China den ersten ernstzunehmenden „Systemrivalen“ seit dem Zerfall der Sowjetunion erkannt. Denn sie sehen, dass die Volksrepublik auf dem Weg ist, möglicherweise die grösste Volkswirtschaft der Welt zu werden und dabei bereits jetzt auch in Teilen des Hightech-Sektors führende westliche Unternehmen hinter sich lässt. So ist Huawei das Unternehmen, dass 2020 weltweit die meisten Patente angemeldet hat. Von diesem Unternehmen kommt ein Grossteil der weltweit verbauten Netzwerktechnik, etwa für 5G. Auch in anderen Kernbereichen wie künstlicher Intelligenz sind die meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen inzwischen chinesischer Herkunft (obgleich die Qualität dieser Veröffentlichungen umstritten ist).

Naiv betrachtet mag es paradox erscheinen, dass die westlichen Staaten China als Rivalen oder Konkurrenten bekämpfen. Schliesslich hat China sich doch innerhalb der „regelbasierten Weltordnung“ durch eine geschickte Wirtschaftspolitik und Öffnung für den kapitalistischen Weltmarkt von einem der ärmsten „Entwicklungsländer“ zur – gemessen am BIP – zweitstärksten Ökonomie der Welt entwickelt. Dass China dazu in der Lage war, ist ein Sonderfall, der in dieser Form offensichtlich nie vorgesehen war, von jenen, die „Entwicklung“ durch wirtschaftliche und politische Öffnung versprachen, dabei aber lediglich an den Zugriff auf Rohstoffe und Absatzmärkte dachten. Für die wirtschaftliche Entwicklung setzte die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) unter Deng Xiaoping stark auf ausländische Investitionen.

Allerdings wurde das westliche Kapital nicht bedingungslos ins Land gelassen. Die ausländischen Unternehmen mussten für ihre Investitionen Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen eingehen. Ausserdem waren ein Technologietransfer nach China sowie lokale chinesische Zulieferer Voraussetzung für die Investitionen und nur produktive Investitionen (z.B. der Bau von Produktionsanlagen) keine rein finanziellen Investitionen (z.B. Anteilskäufe bestehender Unternehmen) waren zulässig. Hinzu kam eine sehr restriktive Währungs- und Kreditpolitik. Mit dieser Strategie ist es in China gelungen, eigene konkurrenzfähige Unternehmen entstehen zu lassen. Dass die KPCh in der Lage war, diese Bedingungen gegenüber dem kapitalistischen Ausland auszuhandeln, hängt damit zusammen, dass es in China sowohl ein riesiges Reservoir billiger Arbeitskräfte als auch den entsprechenden Absatzmarkt gab. Die Grösse des Landes hat den Standort für ausländisches Kapital so attraktiv gemacht, dass die Regierungen industrialisierter Staaten Kompromisse eingingen, die andere Staaten nicht erreichen konnten.

Die Erwartung der USA und führenden EU-Länder, dass mit der Öffnung des Marktes auch eine politische Öffnung einhergehen würde, hat sich nur in rudimentären Ansätzen erfüllt, beispielsweise der Schaffung eines Rechtsstaats als Voraussetzung für Kapitalinvestitionen. Viele der anderswo erfolgreich angewendeten Machttechniken des wirtschaftlichen Abhängigmachens (Sanktionen, Verschuldung, Unternehmensübernahmen etc.), sowie der zivil-gesellschaftlichen Einflussnahme (beispielsweise durch die Förderung von NGO-Netzwerken, Journalist:innen und Aktivist:innen) waren in China von aussen effektiv kaum anwendbar. Das ist kein Zufall, sondern der Tatsache geschuldet, dass die KPCh sich der Risiken äusserer Einflussnahme bei der Öffnung des Landes sehr bewusst war.

Begreifen wir die wirtschaftliche Öffnung als Strategiewechsel der chinesischen Eliten nach Maos Tod, so wird deutlich, dass die Kontinuität zum sozialistischen China nach Aussen im Nationalismus und nach Innen im Paternalismus der KPCh liegt. China zu einem Land von Weltgeltung zu machen, war schon unter Mao das erklärte Ziel (noch vor dem Sozialismus). Dieses Ziel lässt sich in der real existierenden Welt effektiver mit kapitalistischen Mitteln verfolgen als mit sozialistischen. Dass die Entwicklung der Volksrepublik zu einem Staat auf Augenhöhe (sowohl wirtschaftlich als auch politisch) von den bisherigen Platzhirschen nicht ohne weiteres geduldet wird, zeigt sich an den immer lauter werdenden Feindschaftserklärungen in der hiesigen medialen Berichterstattung. Und das, obwohl eine derartige wirtschaftliche Entwicklung nach Massstäben der europäischen und der US-Regierung ‚Vorbild' für viele andere Länder sein könnte. Anders als die Regierungen parlamentarischer Demokratien kann die KPCh nicht nur den Ablauf einer Legislaturperiode planen, sondern langfristige Strategien verfolgen, wie z.B. die der Neuen Seidenstrasse.

Framing Chinas als autoritärer Unrechtsstaat

Zweifelsohne ist China ein autoritärer Unrechtsstaat – jedoch versuchen sowohl die USA als auch die EU aus einer wirtschaftlichen und politischen Konkurrenz zu China eine betont moralische Konkurrenz zu konstruieren, die China als autoritären Willkürstaat einem ‚demokratischen Westen' gegenüberstellt. Dies zeigt sich etwa an der Berichterstattung über die Proteste in Hongkong, „die Taiwanfrage“ und die Unterdrückung der Uighur:innen. Es gibt gute Gründe, das Vorgehen der chinesischen Regierungen zu kritisieren. Sie verfolgen in erster Linie nationale Interessen und die Absicherung ihrer eigenen Herrschaft. Die – übrigens von westlichen Staaten selten kritisierte – Einführung des Kapitalismus etwa wurde gänzlich autoritär über die Köpfe der Menschen in China hinweg durchgesetzt und ist sicherlich einer der Hauptgründe, warum es dort heute so viele gesellschaftliche Gegensätze und damit einhergehend Proteste, Streiks usw. gibt.14 In diesen sozialen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen zeigt sich übrigens auch, dass sich das hierzulande oft gezeichnete Bild der konfuzianistisch-konformistischen Chines:in nicht aufrecht erhalten lässt. In der Beurteilung der Niederschlagung dieser Proteste wird in der hiesigen Berichterstattung offensichtlich mit unterschiedlichem Mass gemessen.

In der Region Xinjiang beispielsweise haben mehrere islamistische Anschläge gegen Han-Chines:innen stattgefunden mit teils hunderten Toten. Wie haben demokratische Staaten auf Vergleichbares reagiert? Die USA beispielsweise haben nach dem 11. September 2001 gleich mehrere Angriffskriege mit Hunterttausenden Toten geführt. Dieses Vorgehen sollten sich US-Aussenminister:innen zum Massstab machen, wenn sie China für die Menschenrechtsverletzungen an den Uighur:innen in Xinjiang kritisieren. Aus emanzipatorischer Sicht gibt es keinen Grund, für eine der Seiten Partei zu ergreifen.

Ein anderes Beispiel für die unterkomplexe Betrachtung in den hiesigen Medien ist Taiwan. Die vor dem chinesischen Festland gelegene Insel, ist nicht nur wegen der ansässigen Halbleiterindustrie von Bedeutung, sondern auch wegen ihrer geographischen Lage wichtig als Marine- und Luftwaffenstützpunkt zur Kontrolle der Strasse von Taiwan, einer der meistbefahrenen Handelsrouten der Welt. Auf diese Insel haben sich nach der Niederlage im Bürgerkrieg 1949 die Kuomintang zurückgezogen.

Bis in die 80er/90er Jahre regierten sie dort in Einparteiendiktatur, wobei sie als Verbündete der USA gegen das kommunistische China auch entsprechende Waffenlieferungen erhielten (und auch schon vor ihrer Flucht nach Taiwan erhalten hatten). In den 70er und 80er Jahren wollten die USA, China aus dem sozialistischen Block lösen. Um diese Öffnung und diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik zu erreichen, schlossen sie drei Verträge, die die Ein-China-Politik anerkannten und auch den Rückzug eigener Truppen sowie ein Ende ihrer Waffenlieferungen an Taiwan vereinbarten. An letzteres haben sich die US-Regierungen eigentlich nie gehalten. Der demokratische Präsident „Yes we can“-Obama genehmigte sogar 14 Mrd. US-Dollar an Waffenlieferungen für Taiwan. Seine Nachfolger Trump und Biden setzten diese Politik fort.

Auch die Bundesrepublik unterstützt formal die Ein-China-Politik unter Deng Xiaopings Leitsatz „Ein Land, zwei Systeme,“ womit auf Hongkong und Macau Bezug genommen wird. Wenn die deutsche Aussenministerin also sagt: „Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein grösserer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für China.“ Dann kann die Rede von den zwei Nachbarn durchaus als Revision der Ein-China-Politik gelten. Schliesslich besagt das Ein-China-Prinzip, dass es sich nicht um Nachbarn, sondern ein einziges Land handelt.

Es ist müssig, sich über das Ein-China-Prinzip zu streiten, geht es hier doch mitnichten um soziale Fragen oder die Selbstbestimmung der Menschen, sondern die territorialen Herrschaftsansprüche von Staaten und ihren Regierungen. Der Satz ist dennoch bemerkenswert. Denn er setzt den Rahmen für eine mögliche zukünftige militärische Eskalation des Konflikts mit der Volksrepublik, um damit die Legitimität einer wie auch immer gearteten Kriegsbeteiligung vorzubereiten. Beim Krieg in der Ukraine waren vergleichbare Rechtfertigungen zur Mobilisierung der eigenen Bevölkerung so erfolgreich, dass selbst vermeintliche Antimilitarist:innen und Anarchist:innen reihenweise auf Kriegskurs gingen.

Die Beschwörung des fundamentalen Gegensatzes von Demokratie und Autokratie, wie sie etwa vom US-Präsidenten zu hören ist, sollte vor dem Hintergrund der erklärten Systemrivalität verstanden werden. Während die parlamentarischen Demokratien immer neue autoritäre Elemente in ihre eigenen Herrschaftstechniken integrieren, zeigen sie zugleich mit dem Finger auf Staaten, wie den Iran, Russland oder China als das autoritäre Andere. Mit vergleichbar „undemokratischen“ Staaten wie Saudi Arabien oder der Türkei haben sie dagegen weniger Probleme. Für diese Entscheidungsträger:innen besteht kein Widerspruch darin, einerseits anzuprangern, dass in Russland das Demonstrieren mit einem leeren Plakat zur Verhaftung führt, selbst aber die Versammlungsfreiheit durch Polizeigesetze einzuschränken, den Ausbau staatlicher Überwachungsbefugnisse zu betreiben und ein grausames EU-Grenzregime durchzusetzen. Mit dieser Kritik sollen nicht alle Unterschiede eingeebnet werden, aber eine gewisse Skepsis gegenüber dem hierzulande von Politik und Medien gezeichneten Gut-Böse-Schema ist durchaus angebracht.

Was sind die Gründe dafür, das die genannten Zustände in dem einen Fall scharf kritisiert und in dem anderen Fall geflissentlich übergangen werden. Die identitäre Konstruktion des Kampfes eines „demokratischen Westens“ gegen einen „autoritären Osten“ weist erhebliche strukturelle Ähnlichkeiten zu altbekannten nationalistischen Diskursen zur Mobilisierung der eigenen Bevölkerung für den Krieg auf und wird der Komplexität der realen Machtverhältnisse nicht gerecht. Nationalistische Diskurse sind nicht verschwunden, sie werden jedoch innerhalb des Lagers des progressiven Kapitals (Stichworte: „Zeitenwende“, „the great reset“, „green new deal“ und „Bidenomics“) durch modernisierte Diskursen ergänzt und überlagert. Beide Diskurse bleiben auch innerhalb des „demokratischen Westens“ nicht absolut durchgesetzt, sondern umkämpft, wie Trump, AfD aber auch Christian Lindner zeigen. Diese Diskurse sind keineswegs neu. Ganz im Gegenteil – sie waren schon für die ersten bürgerlichen Revolutionen eine entscheidende Legitimationsgrundlage.

Fazit

Es gibt gute Gründe gibt, Widerstand gegen den Bau neuer Chipfabriken zu leisten. Denn die dort produzierten Halbleiter sind die stoffliche Basis eines technologischen Angriffs, der immer mehr Bereiche unserer Leben kapitalistisch in Wert setzt und auf eine patriarchale Optimierungs- und Kontrollgesellschaft abzielt. Gefühlsregungen werden erfasst und gelenkt, um unsere Leben zugunsten der Interessen seiner technokratischen Antreiber:innen zu optimieren. Wir bleiben dabei alleine und isoliert zurück.

Unser Wunsch nach sozialer Gemeinschaft kann durch die digitale Interaktion am Bildschirm in ‚sozialen Netzwerken' nicht erfüllt, sondern lediglich unterdrückt werden. „Teile und herrsche“ ist keine neue Herrschaftstechnik, aber sie findet in der sozialen Atomisierung der digitalisierten Gesellschaft eine neue Qualität. Fürsorge, Gemeinschaft, Empathie und Körperlichkeit, verlieren an Bedeutung. Das Patriarchat in Verkörperung des deutschen Kriegsministers und der ‚feministischen' Aussenministerin, möchte den ‚technologisch-ökonomisch autarkeren' Zustand der „Kriegstüchtigkeit“ wiederherstellen.

Dies zu verhindern, erfordert unmissverständliche Zeichen, dass wir eben kein Teil einer ‚geschlossenen Heimatfront' sind und die Konfrontationspolitik gegenüber China im Kampf um die technologische Vorherrschaft im Bereich der Halbleiter- und Informationstechnologien nicht ohne Widerstand durchzusetzen ist. Die Geschichte sozialer Bewegungen zeigt, dass sich gerade auf der materiellen Seite viele Möglichkeiten ergeben, Widerstand gegen (neue) Technologien als Herrschaftstechniken zu leisten.

Neue Halbleiterfabriken und der durch sie materiell eingelöste KI-Hype tragen nicht zur Lösung der Klimakrise bei. Im Gegenteil, sie verbrauchen enorme Mengen an Ressourcen. Es ist sogar besonders unsinnig, Halbleiter in Europa zu produzieren, wenn die weiterverarbeitenden Betriebe, in denen etwa unsere Smartphones zusammengebaut werden, wegen der Lohnkosten weiterhin in Ostasien liegen. Die Klimakrise lässt sich nicht durch KI oder andere technologische Entwicklungen auflösen, sondern es bedarf tiefgreifender sozialer Veränderungen. Diese Veränderungen – wir könnten sie als soziale Revolution bezeichnen – werden durch eine geistige Mobilmachung für die nächsten Kriege um technologische Vorherrschaft verhindert statt befördert.

Capulcu

Fussnoten:

1 Das gilt übrigens auch für Standardkomponenten wie Laptops und Smartphones.

2 The environmental footprint of logic CMOS technologies, IMEC Studie, M.Bardon, B. Parvais (2020), https://www.imec-int.com/en/articles/environmental-footprint-logic-cmos-technologies

3 https://taz.de/Oekologischer-Fussabdruck-von-KI/!5946576/

4 U. Gupta et. al. (2020), Chasing Carbon: The Elusive Environmental Footprint of Computing, http://arxiv.org/pdf/2011.02839

5 IT – Der technologische Angriff des 21. Jahrhunderts“ in DISRUPT, https://capulcu.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/54/2018/10/Disrupt2018-11web.pdf

6 Ebda.

7 https://www.forbes.com/sites/erictegler/2023/01/20/is-russia-really-buying-home-appliances-to-harvest-computer-chips-for-ukraine-bound-weapons-systems/

8 „AIP for Defense“, Palantir, https://www.palantir.com/platforms/aip/defense/ .

9 „Ghostplay“, dtec.bw, https://www.ghostplay.ai/ .

10 https://www.ecns.cn/news/sci-tech/2023-11-29/detail-ihcvixpi0428703.shtml und https://www.reuters.com/technology/huaweis-new-chip-breakthrough-likely-trigger-closer-us-scrutiny-analysts-2023-09-05/

11https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/industrie-chipherstellung-eine-frage-der-chemie/24995018.html

12 https://archive.is/https://www.bloomberg.com/news/articles/2023-04-27/berlin-erwagt-exportbeschrankung-von-chip-chemikalien-nach-china

13 https://www.reuters.com/technology/how-us-will-cut-off-china-more-ai-chips-2023-10-17/

14 https://www.akweb.de/bewegung/daniel-fuchs-es-braucht-eine-linke-china-perspektive/