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Replik auf Heiner Flassbeck: „Kommt nach der Wahl der Boom?“

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Replik auf Heiner Flassbeck: „Kommt nach der Wahl der Boom?“ „Die Wirtschaft“ gibt es nicht

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Wirtschaft

Der Artikel erschien in der Wochenzeitung „der Freitag“ Nr. 9 vom 27.02.2025, online am 25.02. (hinter einer Bezahlschranke) unter dem Titel „Schuldenbremse, Sondervermögen: Was die CDU einfach nicht über die Wirtschaft lernen will“.

Hafen von Long Beach in Los Angeles.
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Hafen von Long Beach in Los Angeles. Foto: Msun523 (PD)

Datum 11. März 2025
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Heiner Flassbeck meint, es solle eine CDU-AfD-Koalition geben, damit sie scheitert und dann in vier Jahren alle wissen, „dass es rechts der Mitte kein Konzept für einen Aufschwung der Wirtschaft gibt“. Mit dieser zynischen Empfehlung gibt sich der Autor gleichzeitig als Anhänger der weit verbreiteten, quasi-religiösen Wachstumsideologie zu erkennen, die mit Ressourcenraub und imperialistischer Ausbeutung die Welt zerstört.

Er empfiehlt der Regierung, sie solle „der deutschen Bevölkerung einen Crashkurs in moderner Volkswirtschaftslehre verpassen“, und wiederholt doch nur die altbackenen Rezepte von gestern, mit der „Belebung der Nachfrage“, die „das Einzige“ sei, das helfen könne, die „Renditeerwartungen der Unternehmen“ zu verbessern, damit sie wieder mehr investieren.

Hauptsache investieren?

In dieser Weltsicht gibt es so etwas wie Gesellschaft nicht, nur „die Wirtschaft“. Bedauerlich, dass selbst einem Keynesianer wie Flassbeck nicht auffällt, wie nah er damit, und mit der von ihm beschworenen Alternativlosigkeit, der neoliberalen Ideologie kommt.

Mit seinem Tunnelblick sieht er auch nicht, welche Gefahren für die Gesellschaft von einer Regierungskoalition von Merz, als Lobbyist des Grosskapitals, mit einer AfD mit waschechten Nazis in ihren Reihen, ausgehen würde. In Flassbecks Weltsicht kommt auch die Frage, was produziert wird, nicht vor. Ob Brot oder Waffen, Strassenbahnen oder SUVs – egal, Hauptsache es wird investiert und die Gewinne sprudeln. Nur dann geht es voran, egal wohin.

Dabei liegt eine Chance darin, wenn der Konsum zurückgeht und Firmen nicht mehr investieren. Das schafft Platz für die gesellschaftliche Steuerung einer Produktion lebensnotwendiger Güter.
Statt um jeden Preis zu versuchen, die profitwirtschaftliche Privatwirtschaft zu Investitionen zu bewegen, könnten die maroden öffentlichen Infrastrukturen besser und preisgünstiger von bedarfswirtschaftlichen Unternehmen in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand saniert werden, ebenso wie diese in vielen weiteren Wirtschaftsbereichen qualitativ hochwertig für den Bedarf produzieren können.

Endlich Steuern erhöhen

Dafür muss der Staat viel Geld in die Hand nehmen, und Heiner Flassbeck hat Recht, dass „zusätzliche staatliche Ausgaben“ aus Schulden finanziert werden müssen. Aber nicht ausschliesslich. Denn ebenso können öffentliche Ausgaben auch durch Steuereinnahmen gegenfinanziert werden. Das bedeutet keineswegs, wie der Autor behauptet, „dass die Nachfrage sinkt“, im Gegenteil. Es kommt darauf an, welche Steuern erhoben werden.

Die Vermögensteuer müsste wiederbelebt werden, die Progression der Einkommensteuer müsste geringe Einkommen entlasten und hohe Einkommen stärker heranziehen, und die Körperschaftsteuer müsste ähnlich progressiv ausgestaltet werden. Dann würden vielleicht die spekulativen Aktiendepots der Wohlhabenden schrumpfen, aber auf deren Konsum hätte das keinen Einfluss – leider, denn der Rohstoffverbrauch durch Luxuskonsum ist nicht zu rechtfertigen, um ihn einzudämmen wären jedoch andere Massnahmen nötig.

Wenn Reichtum steuerlich abgeschöpft würde, könnten diejenigen mit niedrigem Einkommen, die heute übermässig mit Lohn- bzw. Einkommensteuer belastet sind, ein wenig sorgenfreier leben, ihre Mieten bezahlen, gesunde Lebensmittel einkaufen und trotzdem auch mal in Urlaub fahren. Denn es ist nicht dieser kleine Konsum, der die Welt zerstört, sondern „Milliardär*innen verursachen in 90 Minuten mehr Treibhausgase als der Durchschnitt in einem ganzen Leben“ (Oxfam, 28.10.2024).

Umsteuern ist dringend geboten

Es stimmt: „Wer wirklich etwas ändern will, muss grösser denken“. Aber leider bleiben Flassbecks Gedanken in der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre gefangen. Eine „ernst zu nehmende Diagnose“ müsste doch sehen, dass die Ressourcen dieses Planeten begrenzt sind, und dass ein Umsteuern dringend geboten ist.

„Die Wirtschaft“ gibt es nicht, sie ist kein Akteur, um den Politik und Gesellschaft sich sorgen müssen, sondern eine ideologische Konstruktion. Das Wirtschaften ist ein sozialer Prozess, in dem Menschen all das herstellen, was sie zum Leben brauchen, unabhängig von der jeweiligen Gesellschaftsform. Dass dieser Prozess von Macht und Geld, Privateigentum und Profitstreben dominiert wird, ist kein Naturgesetz.

Darum wäre die erste Lektion in einem Crashkurs, der Wirtschaft den Subjektstatus abzuerkennen, und sich den wirklich wichtigen Fragen zuzuwenden: Was brauchen Menschen für ein gutes, angstfreies Leben, und wie kann dies Lebensnotwendige unter würdigen Bedingungen, ohne Ausbeutung und Zerstörung hergestellt werden?

In weiteren Lektionen ginge es dann darum, aus den vielen bereits vorhandenen Überlegungen, Vorschlägen und Erfahrungen überzeugende sozial-ökologische wirtschaftspolitische Konzepte zu entwickeln.

Ein gesellschaftliches Bildungsprogramm ist nötig

Nach jahrzehntelanger Verblendung reicht dafür wahrscheinlich kein Crashkurs, sondern im Kampf um die Köpfe wird ein langwieriges gesellschaftliches Bildungsprogramm nötig sein. Neben dem notwendigen Kampf gegen Rechts in der kommenden politischen Kaltzeit ist das eine der grossen Aufgabe für soziale Bewegungen und für die Linkspartei in der Opposition.

Elisabeth Voß