Fehlt eine solche Realutopie oder bleiben entsprechende Vorstellung konfus, so schwächt das diejenigen, die mehr bzw. anderes wollen als das, was sich im Kräftemessen von Interessengruppen innerhalb der gegebenen Gesellschaft durchsetzen lässt. Bislang dominiert die Auffassung, eine grundlegend andere Gesellschaft als die der kapitalistischen Marktwirtschaft sei undenkbar. Lässt sich die Dominanz dieser Denkweise nicht überwinden, bleibt die radikale Opposition Opposition und es kommt zu keiner grundlegenden gesellschaftlichen Transformation.
Im Unterschied zu einem vollständigen Modell benennen wir einige notwendige Momente. Um eine Kopfgeburt handelt es sich bei ihnen nicht. Vielmehr lässt sich anknüpfen an Regelungen und Institutionen, die bereits innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und kapitalistischen Ökonomie entstehen. Das „Neue“ entsteht nicht in autonomer Selbstzeugung, sondern aus den Widersprüchen des „Alten“ und in Weiterverarbeitung der unterstützenswerten Seite der Widersprüche. Das Verständnis der anstrebenswerten Wirtschaft hängt nicht zuletzt davon ab, dass deutlich wird, wie sich die im Folgenden skizzierten Regelungen gegenseitig stützen, voraussetzen und zusammenwirken.
Angebotspalette
Diejenigen Produkte und Dienstleistungen, die überflüssig, schädlich und problematisch sind, mit deren Produktion Kapitale aber Mehrwert erzielen, fallen in einer Gesellschaft des guten Lebens weg. Das ermöglicht es, in grossem Ausmass Aufwendungen und Arbeiten einzusparen. (Vgl. dazu Creydt 2021.) Die Produkte und Dienstleistungen orientieren sich mit ihren Ermöglichungs- und Aufforderungsgehalten nun daran, die menschlichen Vermögen (Fähigkeiten und Sinne) der Kunden zu sichern, zu fördern und zu entwickeln. Dabei bekommen die indirekten Effekte ein höheres Ausmass an Aufmerksamkeit. Bspw. hat die Stadtbauwelt nicht nur instrumentelle Funktionen, sondern formt auf ihre Weise die Sinne der Bewohner. Das kann nicht länger als N e b e n wirkung gelten. Nicht „nur“ ökologisch gilt: Erleben die Menschen ihren Lebensraum als verarmt und hässlich, so verringert das massiv ihr Interesse an dieser verödenden Umgebung.Arbeitsprozesse
Sie gilt es so einzurichten, dass ihr Kriterium nicht allein darin besteht, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Ergebnis zu schaffen. Vielmehr wird zu einem massgeblichen Kriterium der Arbeit, dass die Arbeitenden in ihr diejenigen menschlichen Vermögen betätigen können, die sie nur im Arbeiten selbst zu entwickeln vermögen. Es geht darum, „die scharfe Grenze zwischen notwendiger Arbeit […] und freier Tätigkeit zwar nicht einzuebnen (das hiesse sicherlich zuviel erhoffen), doch immerhin durchlässig zu machen.“ Das Ziel ist die „Verkürzung der psychologisch unproduktiven Arbeitszeit innerhalb der notwendigen Arbeitszeit“ (Bahro 1977, 495). Erforderlich wird dafür eine anthropozentrische Produktionstechnologie. (Vgl. dazu Creydt 2021a) Die trotz allen Bemühungen übrig bleibenden unattraktiven Tätigkeiten lassen sich auf alle Arbeitsfähigen aufteilen. Zur gesellschaftlichen Norm wird, dass alle ungefähr gleich attraktive Tätigkeitsbündel haben.Antriebe zu wirtschaftlichen Aktivitäten
An die Stelle der Motivation zu effizienter Arbeit durch Konkurrenz und durch Druck von oben tritt in der Gesellschaft des guten Lebens die Kombination anderer Antriebe. Es handelt sich um berufsinhaltliche Motive der Arbeitenden dafür, etwas für die Empfänger des Produkts oder der Dienstleistung Gutes zu leisten. Hinzu kommen Motive, die durch die soziale Beeinflussung seitens der Öffentlichkeit entstehen. Die wirtschaftlichen Aktivitäten werden nach den Massstäbe des guten Lebens bewertet. Gegenwärtige Überlegungen zu Nachhaltigkeits- bzw. Gemeinwohlbilanzen weisen in diese Richtung. (Zu ihren Einzelheiten vgl. Bender u. a. 2012, 73ff., 137ff. und Felber 2012). Anreize zu entsprechenden Wirtschaftsaktivitäten entstehen auch insofern, als an sie entsprechende Vergünstigungen (in puncto Steuer, Auftragsvergabe, Kreditbedingungen u. ä.) geknüpft werden. Zur Vertiefung vgl. Creydt 2023.Ausbau und Weiterentwicklung der Informationsinfrastruktur
Produktlinienanalysen, Umweltbilanzen, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Technikfolgeabschätzung u.ä. sind schon in der Gegenwart Teil einer Informationsinfrastruktur, die die qualitativen Wirkungen und Voraussetzungen von wirtschaftlichen Aktivitäten und Angeboten vergegenwärtigt. Diese Informationsinfrastruktur und die auf ihrer Grundlage gebildeten qualitativen Indikatoren sind die Grundlagen zur öffentlichen Beurteilung („Evaluation“) der wirtschaftlichen Aktivitäten.Vertrauen ist gut, Beobachtung ist besser
Bereits heute existieren Organisationen, die Aktivitäten von Unternehmen und Behörden beobachten. Beispiele dafür sind food-watch, lobby-control, Coordination gegen Bayer-Gefahren – eine seit 1978 bestehende Organisation zur Beobachtung und Kritik des weltweit agierenden Konzerns Bayer. Unabhängige Institutionen können die Evaluation von Betrieben und Organisationen übernehmen (heutige Vorform: Rechnungshöfe).Bilanzierung
Not-wendig wird die Ablösung der herkömmlichen eindimensionalen betriebs- und volkswirtschaftlichen Rechnungsweisen durch mehrdimensionale Erfolgskonzepte. Im Unterschied zu Preisen als unterkomplexen Informationskonzentraten sind die verschiedenen Auswirkungen des betrieblichen Handelns (Ausbringungsmenge, Lebensqualität im Arbeiten, ökologische Effekte u. a.) zu vergegenwärtigen. Anknüpfen lässt sich an Gemeinwohlbilanzen. In ihnen kommen die verschiedenen Dimensionen in den Blick, in denen Unternehmen direkt und indirekt Wirkungen zeigen.Ein „stofflich-vieldimensionaler Wertbegriff“ unterscheidet sich von der Maxime „Wert ist, was Geld kostet oder bringt“ (Jürgen Freimann 1984, 22). Die „mehrdimensionale Wertrechnung“ berücksichtigt auch die schwer bezifferbaren Qualitäten und bezieht sich auf qualitative Indikatoren. Beispiele dafür sind bereits heute das MIPS (Materialintensität pro Service-Einheit) und der DGB-Index „gute Arbeit“. Zu einem „ein-deutigen (oder ein-äugigen) Massstab ökonomischen Handelns“ führt die mehrdimensionale Wertrechnung nicht. Anders als bei der herkömmlichen volkswirtschaftlichen Rechnungsweise kann jedoch „der Grad gesellschaftlicher Wohlfahrt nur durch Abwägung […] von quantitativen und qualitativen Faktoren (Lebensstandard und Lebensqualität) bestimmt werden, muss also durch politischen Dialog entschieden werden. Dies ist ein Nachteil hinsichtlich der modelltheoretischen Praktikabilität, entspricht jedoch in weit höherem Masse der Realität als die Reduktion ökonomischen Handelns auf monetarisierte und kommerzielle Vorgänge.“ Mehrdimensionale Erfolgskonzepte zerstören „die (scheinbare) Rechenhaftigkeit, Eindeutigkeit und ‚Eleganz‛ der ökonomischen Modelle. Das ist unbequem und desillusionierend“ (Ingomar Hauchler 1985, 56), wird aber angesichts der Unterkomplexität der herkömmlichen Modelle (Grenzen der adäquaten Bewertung durch Preise) erforderlich.
Vernetzung innerhalb des Landes
Eine Verbundwirtschaft findet statt in der zwischenbetrieblichen technischen Vernetzung, in der Entwicklungszusammenarbeit und in der Produzent-Zulieferer-Kooperation sowie in der Zusammenarbeit bei der Realisierung grosser Vorhaben (z.B. Mondlandung). Mit der Verbundwirtschaft entsteht im Unterschied zur kapitalistischen Konkurrenz die Auffassung von Wirtschaft als Zusammenarbeit, als Arbeit miteinander statt gegeneinander. Allerdings bleibt die Kooperation von Betrieben innerhalb der kapitalistischen Ökonomie immer durch die Interessengegensätze zwischen den Privatunternehmen begrenzt und gefährdet. Die Abschaffung des Privateigentums an der Firma sowie der Betriebsgeheimnisse ermöglicht die unbeschränkte Weitergabe von Erfahrungen und Erkenntnissen zwischen Betrieben. Die Beziehungen zwischen verschiedenen Betrieben lassen sich so einrichten, dass Arbeitende über Betriebsgrenzen hinaus voneinander lernen, sich untereinander über „best practice“-Vorgehensweisen auseinandersetzen, sich gegenseitig korrigieren und sich etwas voneinander „abgucken“. Das hilft, die Produktionsmethoden der Betriebe auf den gesellschaftlich gewollten Stand zu bringen. Im Unterschied dazu stellt sich in der Marktwirtschaft erst umwegig über den Markt sowie im nachhinein heraus, wer besser bzw. schlechter produziert.Bereits gegenwärtig gibt es „bei Volkswagen sog. Fahrzeugkliniken; sie sind nicht zum Reparieren da, sondern zum Diskutieren. Marktforscher stellen ausgewählten Familien die Modellentwürfe vor und notieren Wünsche und Verbesserungsvorschläge“ (Schieritz 2023). Solche Einrichtungen gilt es aus ihrer Engführung auf die einzelbetriebliche Absatzförderung zu emanzipieren und zu öffnen für eine gemeinsame Beratung zwischen den Konsumenten und Produzenten über sinnvolle Produkte. „Ideenträger, Experten, Nutzer und Produzenten“ können in „öffentliche Entwicklungswerkstätten für Produktentwicklung und -innovation“ zusammenkommen (Birkhölzer, in Forschungsprojekt 1994, 31). Damit ergibt sich ein anderer Kontakt zwischen Konsumenten und Produzenten als auf dem Markt.
Internationale Vernetzung
Erforderlich wird eine weltweite Raumordnung, in der der Weltmarkt schrumpft und seine Macht verliert. „Dekonnexion“ (Samir Amin) und „Entglobalisierung“ (Streeck 2021, 408ff.) unterscheiden sich vom Protektionismus oder der Formierung von Wirtschaftsblöcken, die sich auf die Konkurrenz am Weltmarkt ausrichten, sich also positiv auf ihn einstellen. Es gilt die internationalen Vernetzungen massiv auszudünnen. Kleinstaaterei ist damit nicht gemeint. Vielmehr können Wirtschaftsräume, die mehrere Länder umfassen, sich weitgehend selbst versorgen. Vgl. zu diesem Themenfeld Creydt 2021b.Eigentum
Die Wirtschaft in der Sowjetunion war geprägt durch ein ständiges Gezerre zwischen den einzelnen Betrieben und der Planungsbehörde. Die einzelnen Betriebe versuchten, mit frisierten Informationen über ihre Leistungsfähigkeiten und Lagerbestände leicht erfüllbare Planvorgaben zu erreichen. Die zentrale Planbehörde revanchierte sich, indem sie gegen- und übersteuerte. Und fertig war der Teufelskreis in der Interaktion beider Seiten. Er zeigt: Die Enteignung des Kapitals sowie der Wegfall von Kapital- und Arbeitsmärkten sind eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Gesellschaft des guten Lebens. Diese Massnahmen enthalten keine Antwort auf die Frage nach dem Informations- und Kompetenzgefälle zwischen Auftraggeber und Beauftragten („Prinzipal-Agent-Problem“). Dieses Problem lässt sich in einer Gesellschaft des guten Lebens angehen. Relevant dafür sind die Veränderung der Motive für wirtschaftliches Handeln sowie sowie eine solche Öffentlichkeit, die die Unternehmensaktivitäten effektiv beeinflusst.Durch die Überwindung der kapitalistischen Ökonomie fallen deren regelmässige und notwendige Krisen weg. Das verringert massiv die Unsicherheit, die aus der möglichen Entwertung des Privatbesitzes in Wirtschaftskrisen herrührt. Damit vermindert sich die Notwendigkeit, als vereinzelter Einzelner per Privateigentum für schlechte Zeiten „Sicherheiten” zu schaffen. Die Ausweitung der öffentlichen Daseinsvorsorge schliesst z. B. ein Verkehrswesen ein, das privaten Autobesitz weniger nötig macht, sowie Infrastrukturen, die Ausleihen begünstigen (Vorform z. B.: Car-Sharing). Hinzu kommen Regelungen, die einer individuellen Übernutzung von Gemeingütern und Trittbrettfahrerverhalten entgegenwirken.
In der Gesellschaft des guten Lebens gilt nicht länger: Die Privateigentümer „sind niemandem etwas schuldig, sie erwarten sozusagen von niemandem etwas; sie gewöhnen sich daran, stets von den an-deren gesondert zu bleiben, sie bilden sich gern ein, ihr ganzes Schicksal liege in ihren Händen. […] Der Eifer, mit dem sie die kleinen Geschäfte betreiben, dämpft sie ge¬genüber den grossen“ (Tocqueville 1987, 149, 274). Eine Gesellschaft des guten Lebens ist so eingerichtet, dass das, was von uns betreut, besorgt und bearbeitet wird, uns nicht länger von anderen trennt. Vielmehr gilt es zu vergegenwärtigen, wie im Arbeiten und in den Tätigkeiten sowie mit den Produkten und Dienstleistungen das gute Leben bzw. eine hohe Lebensqualität entstehen kann. Die Aufmerksamkeit gilt den Fragen, wie das jeweilige besondere Moment zum anstrebenswerten Gesamtzustand beiträgt oder ihn schwächt.
Der übergeordnete Massstab zur Beurteilung der Wirtschaft
Die Wirtschaft findet ihren letztendlichen (nicht: unmittelbaren) Massstab darin, wie sie sich umfassend auf die Lebensqualität auswirkt. Dieses Kriterium verarbeitet eine zentrale Erfahrung: In den letzten Jahrzehnten wuchs der kapitalistischen Reichtums massiv an, aber der negative Stress, der mit dem Erwerbs- und Geschäftsleben verbunden ist, verringerte sich keineswegs. „Kostenehrlichkeit“ wird nicht nur aus ökologischen Gründen erforderlich. Zwar sind einem modernen Wirtschaftssystem eigene Wechselwirkungen und immanente Erfordernisse eigen. In einer Gesellschaft des guten Lebens geht es darum, nicht erst bei der Verteilung der Produkte oder Gewinne anzusetzen, um dann jenseits der Arbeitsprozesse und der Produktpalette mit ihrem Erlös Lebensqualität zu ermöglichen. Vielmehr wird in der anstrebenswerten Wirtschaft die Lebensqualität zu einer „integralen Wohlstandfunktion“ (Claus Offe). Dazu gehört, die Arbeitsprozesse und die Organisationsweise von Betrieben nicht nur an ihrem unmittelbaren Output, sondern auch an der Lebensqualität im Arbeiten zu messen.Das ermöglicht es, die Ausgaben für die Beseitigung der direkten und vor allem indirekten negativen Folgen der Wirtschaftsweise („Defensivausgaben“) zu senken und die Verkehrung zu überwinden, dass eine Wirtschaft infolge der Nichtantastung der Ursachen ihrer Schadensproduktion verdient und dann an der Problemvermarktung noch einmal.
Nehmen die Frustrationen innerhalb des Arbeits- und Geschäftslebens ab, so verringert sich die Nachfrage nach Kompensation und Überkompensation. Das wiederum entzieht einem Teufelskreis die Grundlage: Der hohe Anteil unattraktiver Arbeit wird bislang zum Anlass für viel (Über-)Kompensation, diese erfordert wiederum häufig zusätzliche unattraktive Arbeit.
Zwar bleibt in der Gesellschaft des guten Lebens ein Unterschied zwischen den Arbeiten, die es ermöglichen, aus ihrem Mehrprodukt solche Tätigkeiten querzufinanzieren, die notwendig sind, aber sich finanziell nicht selbst tragen können. Unter der Herrschaft von Mehrwert- und Profitwirtschaft lautet die Massgabe für das Bildungs- und Gesundheitswesens sowie für private Care-Tätigkeiten: Sie sollen den Notwendigkeiten dieser Reichtumsproduktion und -akkumulation untergeordnet bleiben und möglichst wenig kosten. In der Gesellschaft des guten Lebens werden die Arbeiten und Tätigkeiten nach ihrem direkten und indirekten Beitrag zur Sicherung, Betätigung und Entwicklung menschlicher Vermögen wertgeschätzt.
Regulierung und Steuerung der wirtschaftlichen Aktivitäten
Einwirken lässt sich auf Betriebe (je nach ihren Punktwerten in der umfassenden Bilanz) durch Auftrag- und Kreditvergabe (gekoppelt an qualitative Vorgaben), Besteuerung und Subvention. Gesellschaftlich wird entschieden über für das ganze Land relevante Proportionen. Sie bestehen z. B. zwischen Arbeit und Konsum, zwischen öffentlicher Daseinsfürsorge bzw. öffentlichen Gütern und privatem Konsum sowie zwischen den Anforderungen an die Effizienz der Arbeit und der Bildung menschlicher Vermögen im Arbeiten. Ein Zielkonflikt besteht auch zwischen den Anforderungen an die Menge der zur Verfügung stehenden Produkte sowie Dienstleistungen und den Ansprüchen der Arbeitenden auf eine gute Lebensqualität in der Arbeit.Eine Institution „für die Regulierung der öffentlichen Unternehmen” legt nicht wie die Behörden in den früheren Ostblockstaaten Produktionsziele fest und verteilt kein Produktionsmaterial, „sondern (setzt) bestimmte demokratisch festgelegte Normen für die Nutzung öffentlicher Anlagen durch.“ Eine solche Institution würde im Namen der Gesellschaft „die Eigentumsrechte an den Unternehmen ausüben, während die Unternehmensangestellten auf Nutzerrechte beschränkt wären” (Diane Elson 1990, 89f.).
Investitionen sind das Thema von öffentlichen Beratungen und demokratischen Entscheidungen. „Schon heute werden staatliche Forschungsmittel, Projektgelder von Stiftungen, aber auch die Kredite ethischer Banken (wie der GLS-Bank) […] auf der Grundlage inhaltlicher Kriterien (also nicht nur von Gewinnaussichten) durch eine plural zusammengesetzte Kommission vergeben” (Raul Zelik 2020, 219). Gewiss existiert hier die Gefahr, dass Antragsteller informell diejenigen, die entscheiden, zu beeinflussen versuchen. Dagegen hilft die demokratische Kontrolle der Entscheidungsgremien und die Anonymisierung der Anträge. Stammen die zu vergebenden öffentlichen Mittel von verschiedenen Stellen bzw. Stiftungen, so verringert sich die Gefahr, von einem Finanzgeber abhängig zu sein (Ebd., 222).
Der Gewinn Der Gewinn des einzelnen Betriebs hat in der Gesellschaft des guten Lebens eine ganz andere Funktion als in der kapitalistischen Ökonomie. In der kapitalistischen Ökonomie ist die Akkumulation des Kapitals das letztlich massgebliche Kriterium, das über die Organisation der Arbeit im Betrieb und über die Auswahl der zu produzierenden Produkte entscheidet. Aus der massgeblichen Bestimmung des neuen Reichtums – Sicherung und Förderung menschlicher Vermögen – leiten sich in der Gesellschaft des guten Lebens Massgaben für die Produkte bzw. Dienstleistungen ab sowie Anforderungen an die Gestaltung der Arbeit. Zugleich besteht ein gesellschaftliches Interesse an Überschüssen, die in Betrieben erzielt werden, um Bereiche wie das Bildungs- und Gesundheitswesen querzufinanzieren, welche selbst nicht kostendeckend organisierbar sein können und sollen. Gesellschaftlich ist zu entscheiden über die Zusammensetzung dieser beiden verschiedenen Massgaben für die betriebliche Organisation der Arbeit.
Der Gewinn ist in der Gesellschaft des guten Lebens nicht der Massstab, der über die Ausrichtung des Betriebs (Wahl der Produkte und Produktionsverfahren) entscheidend bestimmt. Der Gewinn wird weder automatisch verwendet zur Erweiterung der Ressourcen des einzelnen Betriebs noch des Reichtums der Investoren. Der im jeweiligen Betrieb investierte Reichtum ist in der Gesellschaft des guten Lebens kein Kapital. Er ist das Mittel zur Realisierung unmittelbarer sowie mittelbarer Zwecke im Dienste der Sicherung und Förderung menschlicher Vermögen und nicht Mittel zur Akkumulation des Kapitals. In der nachkapitalistischen Ökonomie sind die Arbeitenden im Betrieb nicht länger als Arbeitskraft zur Erwirtschaftung von Mehrwert von Interesse. Vielmehr gilt die Arbeit selbst als Bereich, in dem sich menschliche Vermögen entwickeln, und diese Entwicklung wird zu einem massgeblichen Kriterium der Organisation der Arbeit. Gewiss geht es auch in der nichtkapitalistischen Ökonomie darum, zu vergleichen, wie und wo knappe Mittel effizienter zur Erzielung von Überschüssen eingesetzt werden. Dieses Kriterium wird aber keinen absoluten Stellenwert haben. Öffentlich zu erwägen, beraten und zu entscheiden ist über die Proportionen zwischen dem erforderlichen Mehrprodukt und der Sicherung, Betätigung sowie Entwicklung menschlicher Vermögen. Sie bilden sich innerhalb der Arbeitsprozesse, durch die Produkte bzw. Dienstleistungen und durch Care-Tätigkeiten.