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Protest gegen TTIP: „Gegen den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit!“

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Protest gegen TTIP „Gegen den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit!“

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Wirtschaft

Die Gruppen und Initiativen, die gegen TTIP protestieren und demonstrieren, erheben in ihrem Demonstrationsaufruf folgenden Vorwurf: „Das Handels-und Investitionsabkommen der EU mit den USA droht Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu untergraben.“ [1]

Demonstration am 23. April 2016 in Hannover unter dem Motto „TTIP und CETA stoppen. Für einen gerechten Welthandel“.
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Demonstration am 23. April 2016 in Hannover unter dem Motto „TTIP und CETA stoppen. Für einen gerechten Welthandel“. Foto: Bernd Schwabe (CC BY-SA 4.0 cropped)

Datum 8. Juni 2016
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Sie meinen damit, dass die verhandelnden Politiker nicht das tun, was die Demonstranten für ihren Auftrag und ihr Amt halten: Ihrer Ansicht nach sollen demokratische Politiker mit ihrer Recht setzenden Gewalt wohl das einigermassen schadensfreie Zusammenleben aller Bürger, die sie regieren, organisieren. ‚Stattdessen' schliessen sie „Abkommen, die vor allem mächtigen wirtschaftlichen Interessengruppen dienen.“ [1] Sie machen sich, so der Vorwurf, mit TTIP zum Handlanger und Hampelmann der international tätigen Konzerne und ihrer ‚rücksichtslosen Bereicherung' und damit zum Instrument der falschen Interessen. Und das sei ‚irgendwie' undemokratisch.

Bloss ist die Bereicherung der Konzerne für moderne Staaten gar nicht das falsche, sondern das mitunter entscheidende Interesse. Die national bilanzierte Summe der privaten Gelderträge macht das Wachstum der Wirtschaft aus, woher dann der Staat seine Mittel abzieht. Und grosse Erträge grosser Kapitale sind eben ein grosser Beitrag zu diesem Wachstum. Diese Erträge zu befördern macht sich der Staat deshalb zur Aufgabe. Um diesen Kapitalen, den grossen, global tätigen, neue Geschäftsbedingungen zu eröffnen, darum geht es beim nun verhandelten TTIP-Projekt.

Sowohl Europa, die BRD vorneweg, als auch die USA wollen den Firmen, die von ihrem Staatsgebiet aus operieren, verbesserten Zugang zum Markt auf dem Gebiet des Verhandlungspartners schaffen. Die sollen dort sachliche und menschliche Ressourcen frei und ungehindert ein- und eigene Produkte ebenso frei und ungehindert verkaufen können. Davon versprechen sich die verhandelnden Regierungen einen Vorteil für die von diesen Unternehmen zu erwirtschaftenden Gewinne.

Und diese Gewinne bzw. die dadurch wachsende Wirtschaftskraft, der dem nationalen Standort zuzuordnenden Unternehmen, setzen sie umstandslos mit dem Nutzen ihrer Nation gleich. Bei wem für diesen freien Zugriff der jeweiligen Konzerne welche nationalen Vorschriften und Regelungen als „Handelshemmnisse“ zu ändern oder zu streichen sind, darum wird seit Jahren gestritten. Bei fehlender Einigung sieht der bislang angepeilte Kompromiss vor, dass die im eigenen Land geltenden Bestimmungen künftig transatlantisch, also beim anderen ebenfalls gültig sind.

Dass den Konzernen, die rund um den Globus aktiv sind, ein solches Abkommen gefällt, liegt auf der Hand. Von ihnen stammen ja die Auflistungen der politischen Behinderungen, die ihnen Konkurrenznachteile bescheren und die von den Unterhändlern aus Washington und Brüssel abgearbeitet werden. Der Vorwurf, dass es sich bei TTIP deshalb um ein „Konzernabkommen“ handele, mit dem die Politik „die Gestaltungsmöglichkeiten von Staaten, Ländern und Kommunen“ [2] untergrabe, ihre Macht quasi an die Konzerne abgebe und damit ihre demokratische Bestimmung verrate, ist aber ein Fehlurteil, das sich um Verhandlungsgrund und -gegenstand der tatsächlichen Demokratien in Europa und den USA nicht kümmert.

Die ringen auf höchster politischer Ebene um die für sie jeweils besseren Bedingungen in der Standortkonkurrenz und wollen mit TTIP vertraglich festlegen, wie die staatliche „Gestaltung“ künftig – auf beiden Seiten gleichermassen – aussieht. Ohne Einigung mit dem Vertragspartner sind einseitige Subventionen oder Marktbeschränkungen dann nicht mehr möglich. Damit setzen die Staaten verstärkt auf die Konkurrenzfähigkeit „ihrer“ Unternehmen, weil sie für sich davon einen Zugewinn an Reichtum und Macht erwarten.

Den Kritikern erscheint das als ein einziges Vergehen gemessen an der Wunschvorstellung, die sie von der demokratischen Staatsmacht haben, und am guten Ruf, den die Demokratie im politmoralischen Bewusstsein nicht nur der TTIP-Kritiker hat. Demokratie, so finden sie, habe sich bei der Gestaltung des Wohlergehens aller Landeskinder nicht von Lobbyisten der Konzerninteressen beeinflussen zu lassen.

Der ultimative politische Verstoss gegen das gemeinwohlförderliche Wirken der Staatsmacht ist für die TTIP-Kritiker das vorgesehene Recht der Konzerne, vor nicht-staatlichen Schiedsgerichten gegen Gewinneinbussen zu klagen, die durch staatliche Entscheidungen verursacht werden. „Sonderklagerechte für Investoren gefährden parlamentarische Handlungsfreiheiten“ und „Konzerne sollen mit TTIP und CETA Sonderklagerechte erhalten, die eine Politik im Interesse der Allgemeinheit massiv erschweren würden.“ .

Das zeugt von einem so prinzipiellen Vertrauen in das menschenfreundliche Handeln eines Parlaments, das ganz ohne TTIP so schöne Dinge wie Leiharbeit, Minilöhne und Minirenten, Kohle- und Kernkraftwerke, Abgasemission und Pestizideinsatz, Massentierhaltung … herbeiregiert und gesetzlich legitimiert, dass sich die TTIP-kritischen Freunde der Demokratie ein politisches Bedürfnis nach den Rechten und Klagewegen für „allgemeinwohlfeindliche“ Investoren einfach nicht vorstellen können.

Die Staaten verhandeln darüber, den Konzernen Einspruchsrechte gegen ihre eigenen Standortvorbehalte einzuräumen, weil es ihnen auf die Einspruchsmöglichkeit gegen die Standortvorbehalte des transatlantischen Verhandlungspartners ankommt. Und sie streiten sich eben deswegen darüber, wie weit diese Selbstverpflichtung reichen soll. Den Kritikern erscheint das als grundlose Selbstbeschränkung und Selbstentmachtung der Instanz, die – davon gehen sie ja selber aus, wenn sie den Staat als Schutzmacht vor den Geschäftsinteressen anrufen – über die Wirtschaftsakteure Macht hat. Sie sehen darin ein Einknicken vor den Konzerninteressen, das sie nur als Versagen und Verstoss, als Versäumnis und Unterlassung dessen wahrnehmen wollen, was sie der Politik als Auftrag zugute halten.

Deshalb mündet die Kritik an TTIP ja auch in den Aufruf an Obama und Merkel, davon doch lieber abzulassen und ein Abkommen zu schliessen, das für all das Gute, Wahre, und Schöne sorgt, das den diversen im Anti-TTIP-Bündnis vereinten Gruppen so einfällt. Die Macher der Weltpolitik kommen im Weltbild dieser Kritiker doppelt vor: negativ, als Verräter der an sie angelegten Ideale und positiv, als deren potentielle Verwirklicher. An Letzteres knüpfen die Politiker gerne an und teilen den Demonstranten mit, dass sie ihren Appell an gerade die richtige Adresse richten und ihre Ideale da in besten Händen seien.

Berthold Beimler