Ein Grossteil der Waren, die Amazon an Kunden in Amerika, Europa und Japan verschifft, werden in China hergestellt. Und auch hier hat Amazon versucht, Niederlassungen zu gründen. Doch in China ist Amazon ein Zwerg und Lichtjahre entfernt von der dominierenden Position, die es anderswo einnimmt. Dennoch ist Amazon mit seiner globalen Präsenz und Verstrickung in viele Kämpfe und mit den Vernetzungsversuchen der ArbeiterInnen ein besonders interessanter Fall für den Vergleich von Arbeitsbedingungen und den Austausch von ArbeiterInnen in verschiedenen Teilen der Welt. Dieser Bericht bezieht sich auf Gespräche mit ArbeiterInnen in europäischen und chinesischen Lagern und versucht sie zu vergleichen.
Viel wichtiger aber als einen interessanten Einzelfall zu studieren und zu vergleichen, ist es, den Lesern einen Einblick in die Arbeitsbedingungen ihrer chinesischen Kollegen zu ermöglichen. Rund um den Globus, wo wir mit Amazon-ArbeiterInnen in Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, Polen, Spanien, Japan und China sprachen, waren die ArbeiterInnen mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden und ihnen war klar, dass sie alle mit dem gleichen Unternehmen konfrontiert sind. Sie wollen mehr über ihre Kollegen hören und wie die Arbeit und die Bezahlung in anderen Amazon-Lagern ist. Mit seinen standardisierten Arbeitsbedingungen in den Lagern rund um den Globus, schafft Amazon zugleich auch ein Interesse der ArbeiterInnen, sich gegenseitig kennenzulernen und in Kontakt zu treten. ArbeiterInnen aus Niederlassungen in Deutschland, Polen und Frankreich treffen sich regelmässig und diskutieren miteinander. Da Asien, Europa und Nordamerika ein wenig weiter auseinander liegen und nicht mit ein paar Stunden Autofahrt erreichbar sind, wollen wir helfen, die Distanz zu überbrücken, indem wir die Arbeit und das Leben von Amazon ArbeiterInnen in einem chinesischen Warenlager ihren weit entfernten Arbeitskollegen beschreiben.
Wir konnten im Laufe von mehreren Monaten etwa ein Dutzend ArbeiterInnen aus einem Amazon-Lager in China treffen. Sie erzählten uns von ihrer Arbeit und ihrem Leben und wir teilten mit ihnen Geschichten über Amazon-Lager von unseren Freunden in anderen Ländern. Unsere Begegnung begann mit einem unerwarteten Missverständnis: Die chinesischen ArbeiterInnen glaubten, dass unsere Freunde in den europäischen Amazon-Lagern alle Manager sein müssten und dass die Lagerarbeit, die sie in China machen, in Europa von Robotern erledigt wird. Sie konnten nicht glauben, dass ArbeiterInnen in Deutschland oder Frankreich die gleiche mühsame und anstrengende körperliche Arbeit machen würden, die sie selbst tun. Also haben wir Bilder, Videos und Geschichten von unseren Freunden genutzt, um dies zu belegen. Der folgende Bericht basiert auf dem, was sich aus dieser Begegnung entwickelt hat.
Amazon in China
2004 tritt Amazon erstmals in den chinesischen Markt durch den Kauf von Joyo.com ein. Dies war die 7. regionale Online-Plattform von Amazon nach denen in den USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan und Grossbritannien. Joyo.com hatte als Website zum Herunterladen von Software begonnen und wurde schnell Chinas 33. beliebteste Website. Im Jahr 2000 begann Joyo.com, Bücher online zu verkaufen, zuerst in Peking, dann Shanghai und schliesslich auch in Guangzhou und anderen Städten. Im Jahr 2007 wurde Joyo.com in Amazon.cn umbenannt.Heute ist China der weltweit grösste E-Commerce-Markt mit 589,6 Milliarden US-Dollar Umsatz im Jahr 2015 von chinesischen Händlern, ein Anstieg um 33% gegenüber dem Vorjahr, laut dem National Bureau of Statistics. Vor allem junge Menschen machen einen grossen1 – wenn nicht den grössten Teil – ihres Einkaufs online, von Kleidung über Bücher bis hin zu Elektronik und sogar Obst.
In diesem riesigen Markt ist Amazon ein verhältnismässig kleiner Spieler. Laut McKinsey hat Amazon China im Jahr 2015 etwa 5.500 Menschen2 beschäftigt und verfügt nur über einen im Vergleich zu den USA und Westeuropa sehr kleinen Marktanteil. Während die chinesischen Firmen Alibaba und JD.com etwa 54% und 23%3 des chinesischen Online-Einzelhandelsmarktes beherrschen, war der Marktanteil von Amazon im Jahr 2015 mit nur etwa 1,1 bis 1,5%, auf Rang 5 oder 6 unter den Online-Handels-Plattformen.4 Angesichts dieser geringen Marktanteile wäre Amazon nicht die erste Wahl, wenn man als Ziel hat, die Arbeitsbedingungen im chinesischen E-Commerce zu untersuchen.
Ein grosser Unterschied zwischen den Geschäftsmodellen von Amazon und Alibaba ist, dass letzterer fast ausschliesslich als Plattform für Online-Shops unabhängiger Anbieter fungiert. Taobao.com und seine ländliche Variante Cun Taobao.com sind “C2C” (Verbraucher zu Verbraucher) Plattformen wie eBay, wo viele der 400 Millionen Website-Nutzer mit eigenen Shops, aber mit wenig Kapital oder Erfahrung oft selbstgemachte Produkte wie Seife oder Schmuck verkaufen, die an anderer Stelle nicht zu bekommen wären. Obwohl Taobaos ausgelagerte Plattformen Tmall.com und Tmall.hk als “B2C” (Business to Consumer, also Unternehmen an Kunden) eingestuft werden, unterscheiden sie sich immer noch von Amazon, da die überwältigende Mehrheit ihrer Aufträge nicht durch Tmalls eigenen “Supermarkt” bearbeitet wird, sondern durch 50.000 verschiedene Läden von Firmen wie Uniqlo oder Nike. Alibabas Gründer Jack Ma hat argumentiert, dass dieses Geschäftsmodell einen Vorteil gegenüber Unternehmen wie Amazon bietet, das den überwiegenden Teil der Waren selbst lagern und die Aufträge bearbeiten muss.5
Obwohl Amazon in den vergangenen Jahren seine Plattformen für mehr Drittanbieter geöffnet hat, fehlt es in China immer noch an der Vielzahl persönlicher, politischer und wirtschaftlicher Verbindungen entlang der Lieferkette, die Unternehmen wie Alibaba und JD.com so erfolgreich geknüpft haben. Solche Verbindungen und Erfahrungen haben zum Beispiel die Schaffung – oftmals durch staatliche Initiative – von etwa 1.000 “Taobao-Dörfern” erleichtert, wo die örtliche Wirtschaft auf Produktion, Lagerung, Verkauf und die Lieferung von Waren über Taobao und angeschlossene Logistikunternehmen konzentriert ist. So können Alibaba-Aktionäre an mehreren Stationen auf dem Weg Prozente machen. Das ist etwas, was Amazon in China nicht nachmachen kann – zumindest nicht in naher Zukunft.6
Amazon begann mit dem Verkauf von Büchern und erweiterte dann das Angebot um alle möglichen anderen Waren. Von Anfang an beinhaltete der Betrieb den Lager- und Verpackungsdienst. Im Jahr 2006 öffnete Amazon für Drittanbieter, die entweder den Versand ihrer Produkte selbst organisieren oder damit Amazon beauftragen. Im Jahr 2016 machten “Marketplace Sellers”, also Drittanbieter, 40% oder mehr aller Amazon-Verkäufe aus.
Häufige Probleme mit unabhängigen Onlinehändlern sind gefälschte Produkte oder schlechte Qualität. Käufer haben Probleme, die Verkäufer dafür zu belangen. Dies geschieht bei den unabhängigen Anbietern bei Amazon in Europa und noch mehr bei Taobao in China. Ein grosser Teil der Produkte, die auf Taobao angeboten werden, sind billig, aber viele sind gefälscht oder von geringer Qualität. Bei einer chinesischen staatlichen Untersuchung im Jahr 2015 befand man, dass nur 37% der Produkte auf Taobao als echt (nicht gefälscht) gelten können.7 Im Gegensatz dazu hat Amazon als eine grosse amerikanische Firma den Ruf, qualitativ hochwertige Ware zu liefern. Allerdings gibt es andere chinesische Onlinehändler wie JingDong.com (JD), die auch als vertrauenswürdiger als Taobao gelten und beispielsweise bestimmte Produkte wie Elektronik verkaufen. Ein weiteres Problem für Amazon in China ist, dass seine Auslieferung vergleichsweise langsam ist, weil es weder über einen eigenen Paketdienst verfügt (wie es JD tut), noch mit Lieferfirmen so eng zusammenarbeitet wie seine Konkurrenten (wie Alibaba). Sein Haupttransportdienstleister in der Stadt X ist u.a. Shunfeng. Zur gleichen Zeit, in der Amazon in den USA und einigen europäischen Ländern expandiert, versucht es das auch in China und betreibt bereits seinen eigenen “Amazon Prime” Lieferservice namens Yuanpei (原配), der jedoch nur zentrale Bereiche bestimmter grosser Städte bedient. Sowohl die ArbeiterInnen, mit denen wir gesprochen haben, als auch andere chinesische Konsumenten führen oft das Fehlen eines schnellen Lieferdienstes als Amazons Nachteil gegenüber seinen Konkurrenten an. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Geschwindigkeit seiner Lieferungen als Amazons grösster Vorteil in Europa gilt.
Amazon ist bemüht, sein Geschäft durch den transpazifischen Onlinehandel zu erweitern. Das Unternehmen bereitet sich darauf vor, als Mittelsmann über den Pazifischen Ozean für Unternehmen zu operieren, die Waren zwischen China und den USA transportieren, um sie auf der Amazon-Plattform zu verkaufen – ein Prinzip, das als “grenzüberschreitender Onlinehandel” bekannt ist. Im August 2016 hatten chinesische Kunden mehr als 10 Millionen Bestellungen für Überseeartikel durch Direktlieferung bei Amazon.com bestellt. Der grenzüberschreitende Umsatz im ersten Halbjahr hat in China ein explosives Wachstum verzeichnet, einen Anstieg um 400 Prozent gegenüber dem Vorjahr.8 An der anderen Pazifikküste werden US-amerikanische Online-Shopper in diesem Jahr rund 30 Milliarden US-Dollar für grenzüberschreitende Transaktionen ausgeben. Das ist eine 10-prozentige Zunahme gegen 2015, wobei die meisten gekauften Waren aus China kommen, wie Emarketer im Februar berichtet.9 Für einen Riesen wie Amazon mit wenigen verbleibenden Märkten, in die es noch expandieren könnte, scheint der grenzüberschreitende Onlinehandel ein Feld mit potenziellem Wachstum zu sein. Aber Alibaba liegt nicht weit hinter Amazon an dieser Front: AliExpress, Alibabas neuer Online-Marktplatz in Grossbritannien, ermöglicht nun chinesischen Anbietern, direkt an britische Kunden zu verkaufen und an ihre Haustür zu sehr niedrigen Versandkosten zu liefern. Und im Januar 2017 führte Alibaba Gespräche mit der bulgarischen Regierung über die Möglichkeit, ein Lager in Bulgarien zu eröffnen, um den europäischen Markt zu bedienen.10
Laut MWPVL International betreibt Amazon 17 Warenlager in China,11 aber die Zahlen über China sind nicht sehr genau, denn wir wissen, dass mindestens ein in dieser Zahl enthaltenes Lager im Jahr 2014 bereits geschlossen wurde. Die meisten Lagerhäuser in China befinden sich in der Nähe von Grossstädten erster und zweiter Ordnung, wie z.B. Peking, Shanghai, Guangzhou, Tianjin, Wuhan, Chengdu oder Nanning.
Amazon in der Stadt X12
Amazon eröffnete das erste Lager in der Stadt X, das wir FC1 nennen werden, 2007. Ein weiteres Lager, das FC2, wurde im Jahr 2014 eröffnet. Das erste Lager wurde 2014 geschlossen und derzeit betreibt Amazon nur das FC2 Lager in der Provinz. Es wird berichtet, dass das Lager eine Fläche von 86.000 sf (8.000m²) habe. Aber wir konnten das nicht über Arbeiterkontakte bestätigen. Inklusive Management arbeiten rund 400 MitarbeiterInnen im FC2, darunter über 200 ArbeiterInnen in der Lagerhalle und ca. 100 im Büro. Die ArbeiterInnen, mit denen wir gesprochen haben, schätzen, dass 70% der Waren im FC2 Bücher sind, wobei eine Vielzahl anderer Produkte den Rest ausmacht.FC2 teilt sich einen Logistikpark mit fünf oder sechs anderen Lagern, darunter eines von JD und ein anderes von Jiuxian.com, einem grossen Online-Shop, der Wein und Likör verkauft. Einige der anderen Logistikunternehmen haben Wohnheime innerhalb des Industrieparks, aber Amazon bietet keine Wohnheimunterkunft an. Es gibt ein paar Fabriken in der Nachbarschaft und Wohnviertel sind nur wenige Gehminuten entfernt, ebenso sind Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs nicht weit. Viele der Amazon-ArbeiterInnen leben in einem nahe gelegenen urbanen Dorf. Dort sind die meisten Bewohner Arbeitsmigranten aus benachbarten Provinzen, die Zimmer von einheimischen Dorfbewohnern mieten.
Arbeitsorganisation
Angesichts der hohen Standardisierung bei Amazon ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeit im FC2 der in anderen Amazon-Lagern in anderen Ländern sehr ähnlich ist. Die Arbeit ist in zwei Hauptbereiche unterteilt: Eingehende (Inbound) und ausgehende (outbound). Die drei grössten Inbound-Abteilungen (sogenannte “Teams”) sind Annahme (收货) – Entladen von Paletten von Lkw -, Sortieren (分 件) – Packen, Einchecken und Sortieren der Produkte (分 件) – und Stow (上架) – die Waren an die dafür vorgesehenen Orte im Lager bringen und auf Lagerregale legen. Im Outbound arbeiten die meisten ArbeiterInnen entweder in Pick (捡 货) – Kommissionieren von Artikeln aus Regalen – oder in Pack (包装). Die Pack-Abteilung ist in Rebin (配货), SP (包装) und SV (打 包裹单) unterteilt – diese Unterabschnitte behandeln Pakete, die einzelne oder mehrere einzelne Artikel enthalten. Abgesehen von diesen Hauptabteilungen gibt es weitere Abteilungen, wie Kundenretouren (返厂), Problemlösungen (问题 解决), Flow Control (流程 控制), Training (培训) und Qualitätskontrolle (质检). Die Trennung zwischen Inbound und Outbound scheint ziemlich gross, “wie zwei separate Welten”, wie ein Arbeiter es ausdrückte. Manchmal wird jemand von Inbound nach Outbound wegen Personalmangel geschickt, aber es hiess, dass dies selten vorkommt. ArbeiterInnen im Outbound Bereich kennen sich, weil sie regelmässig über verschiedene Abteilungen interagieren müssen, aber sie haben wenig Interaktion mit Kollegen vom Inboundbereich.Jeder Schritt der Handhabung von Artikeln und der Erfüllung von Kundenaufträgen schliesst das Scannen von Waren mit einem Handscanner (扫描枪) ein. Jeder Schritt wird vom Computer-System des Lagers registriert und Managerinnen können immer nachschlagen, wer welchen Artikel zu welcher Zeit bearbeitet hat. Auf diese Weise weiss das Management immer, wie schnell jede/r Einzelne arbeitet und wo im Dschungel der Lagerregale er gerade dabei ist, den nächsten Artikel auszuwählen. Alle Aufgaben im Lager erfordern von den ArbeiterInnen zu stehen oder zu gehen. Die ArbeiterInnen sagten uns, dass das Picken bzw. Kommissionieren von Gegenständen aus den Regalen wahrscheinlich die anstrengendste Aufgabe ist und man dabei pro Schicht im Durchschnitt zwischen 10 und 15 km gehen und einen oder sogar zwei Rollwagen ziehen muss, wenn ein Auftrag zu gross ist. Der Arbeitsprozess ist standardisiert mit sogenannten SOPs (Standard-Operationsverfahren), wie in allen anderen Amazon-Lagern. Im FC2 verwenden sie SOPs aus den USA, aber das Niveau der Automatisierung im FC2 ist niedriger, also müssen sie die Verfahren entsprechend der lokalen Situation anpassen.
ArbeiterInnen in jeder Abteilung werden auch in der Tätigkeit der anderen Abteilungen ausgebildet. ArbeiterInnen aus Pack, zum Beispiel, werden auch in Pick angelernt. Wenn die Manager feststellen, dass ein bestimmter Arbeiter oder eine Arbeiterin in einer anderen Abteilung schneller oder “besser” arbeitet, kann sie dort permanent eingesetzt werden. Wir sprachen mit ArbeiterInnen, die dies als eine gute Gelegenheit sahen, um neue Fähigkeiten zu entwickeln, wobei gleichzeitig andere darauf hinwiesen, dass das Unternehmen dies zum eigenen Vorteil macht.
Alle ArbeiterInnen und Abteilungsleiter (“Teamleiter” oder “TLs” genannt) mit denen wir sprachen, kamen aus anderen Provinzen oder den ländlichen Regionen um die Stadt X, und keiner von ihnen ist in der Stadt X aufgewachsen. Obwohl viele ArbeiterInnen in der Stadt seit vielen Jahren leben und arbeiten, haben sie keinen hukou (Haushaltsregistrierung) in X, die sie zu lokalen Sozialleistungen, wie freie öffentliche Schulbildung für ihre Kinder berechtigen würde. Eine Arbeiterin sagte uns, dass kaum jemand über 35 rekrutiert wird, weil auch einfache Hilfsarbeiten (Pugong, Level-0 oder Level-1 in der Rangordnung von Amazon) mindestens die Mittlere Reife (Chuzhong) voraussetzt und die Fähigkeit, Englisch zu lesen. Die älteren ArbeiterInnen dürften kaum dieses Bildungsniveau haben. Die meisten Büroangestellten kommen frisch von der Uni, während die meisten ArbeiterInnen in ihren späten 20-er und frühen 30-er Jahren sind. In Bezug auf das Geschlechterverhältnis gibt es mehr Frauen als Männer in jeder Abteilung, mit Ausnahme von Stow, was schweres Heben erfordert. Amazon begrenzt das maximale Gewicht und Arbeiterinnen dürfen nur bis 10 kg heben, im Unterschied zu 15 kg für Männer, obwohl dies nicht nach dem chinesischen Arbeitsrecht erforderlich ist (wie z.B. in Polen).
Löhne und Arbeitszeiten
Der monatliche Grundlohn in der Lagerhalle, der Level-0 genannt wird, beginnt bei etwa 10-15% über dem lokalen Mindestlohn und steigt nach 6 Monaten um weitere 10% des Mindestlohns an, mit weiteren Erhöhungen alle 6 Monate bis zum Erreichen des Maximums von etwa dem Anderthalbfachen des Mindestlohns. Dazu kommen in der Regel Überstunden und Prämien, LagerarbeiterInnen können zwischen 150% und 200% des monatlichen Mindestlohns machen, ein TL kann zwischen 150% und 250% des Mindestlohns verdienen, durchschnittlich etwa 200%. Die Löhne für Büroangestellte beginnen auf Stufe 3. Der Büroangestellte, mit dem wir gesprochen haben, bekommt einen monatlichen Grundlohn von über 200% auf Level 4.Die Löhne bestehen aus dem Grundlohn und zusätzlich Überstundenzuschlägen (1,5-fache des normalen Stundenlohns für regelmässige Überstunden und 3-fache in Ferien), ein dreimonatiger Bonus und ein Hitzezuschlag (120-130 Yuan pro Monat – niedriger als die gesetzliche Vorgabe von 150). Für Nachtschichten wird ein Nachtzuschlag von 12 Yuan pro Tag bezahlt, wenn die Arbeit bis nach Mitternacht geht. Darüber hinaus zahlt Amazon einen Essenszuschlag von 7 Yuan pro Tag mit jeder Mahlzeit, die 6,8 Yuan kostet in der im Logistikpark befindlichen Kantine (geführt durch eine externe Firma), aber ArbeiterInnen sagten, das Essen sei mies. Die Boni werden offiziell für jeden einzelnen Arbeitnehmer auf der Grundlage von 3 Faktoren (Arbeitsgeschwindigkeit, Anwesenheit und Häufigkeit von Fehlern) berechnet, aber die Ergebnisse werden nicht öffentlich dargelegt. Tatsächliche Prämien reichen zwischen null bis 1500 Yuan pro 3 Monate. ArbeiterInnen finden es sehr unklar, wie ihre Prämien tatsächlich berechnet werden, aber sie wissen, dass sie ihre Prämien verlieren, wenn sie zu viele Tage fehlen wegen Krankschreibung oder Urlaub.
Wir fragten ArbeiterInnen, wie sie mit ihren Löhnen umgehen und erfuhren, dass einige sparen und von so wenig wie 55% des Mindestlohns im Monat leben können, aber die meisten geben in der Regel einen Mindestlohn für Kosten wie Miete und Essen aus, mit Miete für ein Einzelzimmer in der Umgebung um 20-25% des Mindestlohns im Monat. Ein Arbeiter sagte, er will das Leben geniessen, solange er noch jung ist; er gibt normalerweise zwischen 100% und 150% des Mindestlohns jeden Monat einschliesslich zusätzlicher Ausgaben für Alkohol und Zigaretten aus. Diese Lebenshaltungskosten ähneln denen der Arbeiter in anderen Industriegebieten von der Stadt X, mit dem Unterschied, dass die Miete in der Nähe vom FC2 etwas höher ist als in den Industriegebieten weiter weg vom Stadtzentrum.
Das FC2 definiert die regelmässige Arbeitszeit (bevor die Überstunden einsetzen) mit 166,64 Stunden pro Monat. (Das heisst, basierend auf 8 Stunden am Tag mal 21,75, weil die Arbeitsverordnung der Provinz einen Arbeitsmonat als 21,75 Tage definiert, obwohl dies bis zu 174 Stunden pro Monat bedeuten würde.) ArbeiterInnen erhalten mindestens 30 Minuten zum Mittagessen, manchmal mehr, wenn es nicht so viele Bestellungen gibt; sie müssen zum Mittagessen ein- und ausstempeln, aber es gibt keine Strafe für ein verspätestes Ausstempeln nach dem Mittagessen.13 ArbeiterInnen im Inboundbereich arbeiten nur Tagschichten (8.00 Uhr bis 17.30 Uhr), während etwa 2/3 der ArbeiterInnen im Outbound-Bereich Nachtschicht (3:00 PM bis 11:30 Uhr) arbeiten, für einige ArbeiterInnen sind die Arbeitszeiten anders. Normalerweise haben sie zwei Tage frei pro Woche, aber während der Stosszeiten sind sie verpflichtet, sechs Tage pro Woche zu arbeiten.
Die Beschäftigungsbedingungen in den Amazon-Lagern variieren von Land zu Land. Obwohl Amazon seine LagerarbeiterInnen nicht sehr gut bezahlt, wird in der Regel ein wenig mehr bezahlt als andere grosse Arbeitgeber für ungelernte Arbeit in der näheren Umgebung, einschliesslich anderer Logistiker. Amazon wählt vorzugsweise Regionen mit recht hoher Arbeitslosigkeit für seine Lager und zahlt dann ein wenig mehr. In Ostdeutschland zahlt es z. B. 10,30 Euro im Vergleich zur Hilfsarbeit auf einer Schweinefarm für den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Es scheint hier eine Übereinstimmung mit der Situation in der Stadt X zu bestehen, dass Amazon versucht, ein wenig besser als die am schlechtesten bezahlenden Arbeitgeber in der Region zu sein – wie ArbeiterInnen uns erzählten.
Arbeitsverträge
Normale LagerarbeiterInnen (im Unterschied zu Büroangestellten und LeiharbeiterInnen) werden nicht direkt bei Amazon angestellt, sondern über eine Firma, die wir „Stadt X Logistik“ (CXL) nennen wollen und der auch der Logistikpark des FC2 einschliesslich des Lagerhauses selbst gehört. LagerarbeiterInnen erhalten ein- oder zweijährige Verträge. In besonders betriebsamen Zeiten wie in den Wochen vor dem „Tag der Singles“ (11. November, der grössten Online-Rabattschlacht in China) werden im FC2 LeiharbeiterInnen einer bestimmten Leiharbeitsfirma angestellt. In der Abteilung Pack zum Beispiel werden regulär etwa 50 ArbeiterInnen beschäftigt, von denen weniger als zehn in der Frühschicht und mehr als 20 in der Spätschicht arbeiten. ArbeiterInnen berichteten uns, dass in sehr geschäftigen Zeiten weitere acht LeiharbeiterInnen angestellt werden, in ausserordentlich betriebsamen Wochen können es sogar 30 sein. Büroangestellte auf der anderen Seite unterzeichnen unbefristete Verträge direkt mit Amazon, wenn sie neu eingestellt werden.In europäischen Lagerhäusern stellt Amazon viele ArbeiterInnen unbefristet ein. In deutschen und französischen Lagerhäusern haben bis zu 80% der ArbeiterInnen unbefristete Verträge, während in Polen nur 50% von ihnen unbefristete Verträge haben und zudem sehr viele LeiharbeiterInnen angestellt werden. Meistens stellt Amazon in neueröffneten Warenlagern zunächst nur auf befristeter Basis ein, muss dann aber im Verlauf der Zeit aufgrund von Arbeitsrechtsbestimmungen und Arbeitskräftemangel mehr und mehr ArbeiterInnen unbefristete Verträge geben. Der Arbeitskräftemangel bei Amazon ist eng mit dem saisonalen Geschäft in den Ländern verbunden, in denen Weihnachten gefeiert wird. Amazon beginnt hier bereits im Oktober viele zusätzliche ArbeiterInnen für das hohe Bestellaufkommen vor Weihnachten neu anzustellen, aber nur um die allermeisten von ihnen am 24. Dezember wieder zu feuern. Nach einigen Jahren dieses befristeten Anstellens und Feuerns wird es für Amazon zunehmend schwieriger, neue ArbeiterInnen für das Weihnachtsgeschäft in der unmittelbaren Umgebung der Warenlager zu finden und ist gezwungen, in einem Radius von bis zu anderthalb Stunden Fahrzeit nach Aushilfskräften zu suchen. Anders gesagt wird es immer schwieriger für Amazon, den saisonal hohen Umschlag von Arbeitskräften für das saisonale Weihnachtsgeschäft zu decken, sodass sie das reguläre Tagesgeschäft überwiegend von Festangestellten bearbeiten lassen, um den gesamten Umschlag von Arbeitskräften zu verringern.
In der Stadt X gibt Amazon zwar allen ca. 150 Büroangestellten unbefristete Verträge, jedoch den LagerarbeiterInnen nicht. Ähnlich wie in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern können dem chinesische Arbeitsrecht zufolge befristete Verträge nur einmal befristet verlängert werden, bei der zweiten Verlängerung muss der Arbeitgeber einen unbefristeten Vertrag anbieten. Obwohl einige ArbeiterInnen, mit denen wir sprachen, früher bereits im älteren und mittlerweile geschlossenen FC1 gearbeitet und dort Verträge unmittelbar mit Amazon unterzeichnet hatten, hat noch niemand von ihnen bei Amazon für mehr als zwei Vertragszeiträume gearbeitet. Dies mag mit ein Grund dafür sein, dass Amazon seit 2014 keine neuen Verträge von Lagerarbeitern mehr direkt ausstellt, sondern nur noch über die Logistikfirma CXL. Damals wurden LagerarbeiterInnen aus FC1, die bereits einen Vertrag mit Amazon hatten, im FC2 über CXL neu angestellt.
Der Arbeitsmarkt in der Stadt X bietet Amazon einen riesigen Pool von 10 bis 20 Millionen WanderarbeiterInnen in der gesamten Region. Aufgrund des relativ geringen Bedarfs an Arbeitskräften bei Amazon im Vergleich zur immensen Grösse des gesamten regionalen Arbeitsmarkts läuft diese Anstellungs- und Befristungspraxis hier nicht auf dieselben Probleme von Arbeitskräfteknappheit wie in europäischen Städten hinaus. In der Stadt X muss Amazon lediglich über Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen mit anderen Warenlagern und Fabriken in der Nähe konkurrieren – und hier scheint Amazon einen guten Stand zu haben, denn wir haben nichts davon gehört, dass sie Schwierigkeiten hätten, neue ArbeiterInnen zu finden.
Kontrolle des Managements und Beschwerden von Arbeiterinnen und Arbeitern
Niemand von den Arbeiter_innen, mit den wir sprachen, hatte davon gehört, dass Leute gefeuert wurden, weil das Management mit ihren Leistungen unzufrieden war oder sie bestrafen wollte. Anstelle von Entlassungen benutzt das Management eine andere Strategie, indem es ArbeiterInnen in andere Abteilungen versetzt, um sie unter Druck zu setzen bis sie von sich aus kündigen. Dadurch kann das Unternehmen die Zahlung von Abfindungen umgehen. Es gibt Sicherheitsschleusen an den Eingängen und Handys sind im Lager, ähnlich wie in Europa, verboten. Nur Team-Leads dürfen spezielle, von der Firma gestellte Diensthandys mit ins Lager nehmen. Gespräche untereinander während der Arbeit im Lager sind natürlich gang und gäbe, auch wenn das Management versucht sie zu unterbinden. Im Lager werden keine Uniformen getragen, aber es muss eine Kleiderordnung befolgt werden: Lange Haare müssen in einem Dutt getragen werden, damit sie nicht in eine der Maschinen geraten können, Kleider, Röcke, Flipflops und Sandalen sind untersagt, kurze Hosen müssen bis zum Knie reichen und ArbeiterInnen müssen Handschuhe tragen.Im Lagerhaus gibt es keine gewerkschaftliche Vertretung. Nur einige wenige ArbeiterInnen hatten bereits von „Gewerkschaft“ gehört. Das Unternehmen setzt auf einen Meckerkasten für Vorschläge und Rückmeldungen von ArbeiterInnen, um mit Unzufriedenheit umzugehen; aber von den Arbeitern, die wir kennen gelernt haben, hatte noch niemand je ein solches Rückmeldeformular verwendet.
Ein Gegenstand von Unzufriedenheit unter den ArbeiterInnen könnte die Sozialversicherung sein.14 Im chinesischen Arbeitsgesetz ist geregelt, dass Arbeitgeber und Angestellte beide einen Prozentsatz des Arbeitslohns in die Sozialversicherung jede/r Angestellten einzahlen müssen. Die genaue Höhe aber des Arbeitgeberanteils variiert je nach Stadt. Obwohl das Warenlager (Amazon) und der direkte Arbeitgeber (CXL Logistik) beide ihren Sitz in der Stadt X haben, nutzen sie die Sozialversicherung der nahe gelegenen Stadt Z. Der einzige Grund hierfür scheint zu sein, dass der Arbeitgeberanteil in der Stadt Z ein wenig geringer als in X ist. Für Arbeiter, deren Sozialversicherung für die Stadt Z abgeschlossen wurde, erschwert dies den Zugang zu Versicherungsleistungen. Beispielsweise können sie die Krankenversicherung (einer der fünf Versicherungskomponenten der chinesischen Sozialversicherung) nicht nutzen, um in der Stadt X einen Arzt aufzusuchen. Dafür erstattet ihnen das Unternehmen 90% der Behandlungskosten in Krankenhäusern mit Rang drei oder darüber (三级以上) in der Stadt X.
Es hat uns überrascht, dass ArbeiterInnen nicht von Kündigungen oder Strafen wegen angeblich zu niedrigem Arbeitstempo gehört hatten. Da Amazon in allen uns bekannten Warenlagern Stundenlöhne zahlt (im Gegensatz zu Stück- oder Akkordlöhnen zum Beispiel im benachbarten Warenlager von JD), versucht das Management hohen Druck zur Erhöhung des Arbeitstempos auszuüben. Weil jeder einzelne Arbeitsschritt wie Auspacken, Sortieren, Picken, und Verpacken von Waren im Computersystem verwaltet wird, können Manager leicht die durchschnittliche Arbeitsgeschwindigkeit von einzelnen ArbeiterInnen und Gruppen kontrollieren. Um ArbeiterInnen zur schnellen Arbeit anzuhalten, legt das Management in Europa Zielvorgaben für die Anzahl der in einer Stunde zu pickenden oder zu verpackenden Waren fest. Wenn ArbeiterInnen die Vorgaben nicht erreichen, hat dies zur Folge, dass ihnen Boni gekürzt oder sie durch Dienstgespräche mit Managern psychologisch unter Druck gesetzt werden bis dahin, dass sie Sanktionen oder Kündigungen entsprechend ihrem Beschäftigungsverhältnis erhalten. Viele ArbeiterInnen in deutschen, polnischen und französischen Warenlagern berichten, wie dies insbesondere neu eingestelle ArbeiterInnen unter Druck setzt, bei vielen Beschäftigten setzt dann aber über längere Zeit bei Amazon ein Abstumpfen oder gar offene Rebellion gegen solche Managementmethoden ein. In Deutschland und einigen anderen Ländern hat der Arbeiterwiderstand gegen diese Art von Druck insbesondere durch die laufenden Streiks zugenommen, durch die ArbeiterInnen Freundschaften und gegenseitiges Vertrauen im Kampf gegen solche Zumutungen seitens des Managements aufgebaut haben.
Genauso wie das Arbeitstempo überwacht wird, können auch Fehler wie das falsche Picken oder Verpacken einer Ware im Computersystem nachverfolgt werden. In einigen Ländern verfolgt Amazon solche Fehler zurück bis zu individuellen Arbeiter, denen dann der Bonus gekürzt wird. LagerarbeiterInnen in der Stadt X konnten uns jedoch nicht von ähnlichen Bestrafungen von Fehlern bei der Arbeit in ihrem Werk berichten. Für uns blieb es bis zum Schluss unklar, wie das Management die Fehlerfreiheit überwacht und mit Fehlhandlungen in Stow, Pick oder Pack umgeht.
Im Verlauf der letzten fünf Jahre sind immer mehr Verletzungen und gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit der Arbeit in Amazon-Warenlagern für ArbeiterInnen sichtbar geworden. Die sehr anstrengende und oft sehr einseitig belastende Arbeit des Pickens, bei dem häufig eine Art Einkaufswagen durchs Lager geschoben wird, wirkt sich über längere Zeit ermüdend auf Knochenbau und Gelenke aus und führt zu Rückenbeschwerden und Gelenk- und Schulterschmerzen. Die Krankenquote bei Amazon Deutschland ist sehr hoch und durchschnittlich melden sich 15-20% der ArbeiterInnen pro Tag krank. Psychische Beschwerden sind ebenfalls verbreitet. Obwohl das Management mit Zulagen für ArbeiterInnen lockt, die sich nicht krankmelden, sind bisher alle Versuche, die Krankenquote zu senken, erfolglos geblieben.
Als wir nach Krankentagen und Krankfeiern fragten, erklärten uns die ArbeiterInnen aus der Stadt X, dass Amazon nur einen Krankentag pro Monat ohne Abzüge gewährt, für jeden weiteren Krankentag werden Teile des Lohns abgezogen. Das Management führte die Lohnabzüge ab dem zweiten Krankentag mit der Begründung ein, dass zu viele ArbeiterInnen Krankentage nehmen würden. Möglicherweise steht die erhöhte Krankenrate mit der folgenden Beobachtung eines Arbeiters in Zusammenhang: In den drei Jahren, in denen er bei Amazon arbeitete, nahm zwar die Anzahl der LagerarbeiterInnen ab (er schätzte um mehrere Dutzend), aber der gesamte Arbeitsaufwand blieb gleich,15 also stieg das Arbeitstempo deutlich an. Uns konnte jedoch niemand im Einzelnen sagen, wie hoch der Krankenstand genau ist. Um sich krankzumelden, müssen ArbeiterInnen ihren TL oder Managerin kontaktieren und bei Wiederaufnahme der Arbeit eine Bescheinigung vom Arzt vorlegen, für welche sie, wenig verwunderlich, den Arzt extra bezahlen müssen. Wenn ArbeiterInnen dann nach ein paar Tagen wieder zur Arbeit kommen, werden sie oft von ihren ManagerInnen nach den Krankheitsursachen befragt. Obwohl dies eine weit verbreitete Technik ist, ArbeiterInnen unter Druck zu setzen, sahen ArbeiterInnen vom FC2 darin eher einen Ausdruck von Anteilnahme seitens ihrer Manager.
Wir erfuhren auch, dass Amazon vier Monate Schwangerschaftsurlaub gewährt, was einen Monat mehr ist als die gesetzlich vorgeschriebenen drei Monate in China. Der Schwangerschaftsurlaub kann vor oder nach der Geburt genommen werden. Das chinesische Arbeitsrecht gewährt zusätzlich 15 Tage für komplizierte Geburten sowie für jedes weitere Kind bei Zwillingen oder Drillingen. Dies ist ein relativ kurzer Schwangerschaftsurlaub im Vergleich zur Praxis in Polen oder Deutschland, wo schwangere Arbeiterinnen sofort nach Haus geschickt werden und ihnen der volle Lohn über neun Monate bis zur Geburt fortgezahlt wird. Wir erfuhren auch, dass in der Vergangenheit relativ viele Arbeiterinnen schwanger wurden. Zwei Arbeiterinnen erzählten uns, dass sie Amazon gegenüber anderen Arbeitgebern vorziehen würden, da Amazon sich an die Regeln halten würde, insbesondere im Umgang mit Schwangerschaftsurlaub und nicht wie andere nach Vorwänden zur Kündigung von Schwangeren suchen würde. Eine Arbeiterin hatte bereits entschieden zu kündigen als sie schwanger wurde, aber ein Manager überredete sie zu bleiben, weil man sie als TL brauche, und so musste sie bis zum Schwangerschaftsurlaub keine Spätschicht mehr arbeiten.
In europäischen Warenlagern von Amazon sind die strengen und oft lächerlichen Regeln zur Arbeitssicherheit und die standardisierten Arbeitsvorgänge ein häufiger Grund für Beschwerden. ArbeiterInnen in Deutschland erzählten uns, dass sie sich wie Kindern behandelt fühlen, weil alles vom Bleistift bis zum Besen einen festgelegten und mit einer Konturlinie und einem Symbol markierten Ort hat, und dass alle Arbeitsschritte bis ins Kleinste standardisiert sind und fast kein eigenes Denken von den Arbeitern mehr gefordert wird. Auffallenderweise beschrieben die ArbeiterInnen aus dem FC2 jedoch die standardisierten Arbeitsprozesse nicht als frustrierend, vielleicht weil sie andere, monotonere Arbeit erlebt hatten oder aus anderen Gründen, die wir nicht kennen.
Wie Arbeiterinnen und Arbeiter Amazon erleben: Eindrücke und Vorstellungen
Im Allgemeinen haben uns die ArbeiterInnen in der Stadt X positive Eindrücke von der Arbeit bei Amazon geschildert, dies ist für uns insbesondere im Vergleich mit dem, was wir von ArbeiterInnen in Amazon Warenlagern in anderen Ländern gehört und gelesen haben, überraschend. Es ist möglich, dass dies zum Teil auf den Wunsch zurück geht, Ausländern gegenüber ein positives Bild wiederzugeben, bei anderen Gesprächsthemen sprachen die ArbeiterInnen mit uns jedoch sehr offen und ungezwungen, sie wirkten daher nicht so, als würden sie unbedingt eine bestimmte Rolle spielen oder Masken tragen. Wie das positive Bild auch zu interpretieren ist, so können wir uns an eine Reihe von positiven und negativen Einzelheiten in ihren Berichten über ihre Arbeitserfahrungen bei Amazon und in anderen Warenlagern in der Region erinnern.Fast alle ArbeiterInnen, mit denen wir sprachen, haben mindestens einen Mittelschulabschluss (chuzhong) vergleichbar mit dem Haupt- oder Realschulabschluss in Deutschland und hatten keine vorangehenden Arbeitserfahrungen mit Bereich Logistik, bevor sie bei Amazon anfingen. Dennoch sind einige von ihnen über die Jahre in Positionen des unteren Managements aufgestiegen und haben sich Fähigkeiten angeeignet, von denen sie glauben, dass sie in anderen Arbeitsbereichen von Nutzen sein werden. Obwohl die Level-3 Stellen von TL einen Abschluss einer Berufsschule (zhongzhuan) bei Neueinstellungen voraussetzen, haben wir mehrere TLs ohne einen solchen Abschluss kennen gelernt, die sich offenbar durch einige Jahre als einfache LagerarbeiterInnen (pugong) auf Level-0 qualifiziert hatten. Stellen in den Büros setzen mindestens einen Bachelor-Abschluss bei Neueinstellung voraus, aber wir habe auch eine Level-4 Büroangestellte getroffen, die nur einen Fachhochschulabschluss (dazhuan) hat, aber nach einem Jahr Arbeit in Pick wegen guter Leistung befördert worden war.
Der TL für Flow Control behauptete strahlend, dass „Amazon grossen Wert auf die Entwicklung des Human Kapitals (rencai peiyang) lege“, insbesondere im Vergleich zu der Fahrradfabrik, in der er vorher gearbeitet hatte. Der alte Job hatte keine Zukunft, sagte er, „Du kannst dort dein ganzes Leben lang arbeiten und wirst nicht befördert werden.“ Er hatte die Arbeit in der Fahrradfabrik aufgegeben, um sich in seinem Heimatort um Familienangelegenheiten zu kümmern (ein häufiger Kündigungsgrund für WanderarbeiterInnen in China). Als er wieder zurück in die Fahrradfabrik wollte, stellten sie gerade nicht ein, aber bei Amazon gegenüber bekam er sofort eine Stelle. Anfangs hielt er die Stelle bei Amazon nur für einen ganz normalen Job, den er wieder aufgeben würde, aber dann erkannte er die damit verbundenen Aufstiegsmöglichkeiten.
Manager ermutigen Arbeiter, alle verschiedenen Posten der einfachen Lagerarbeit zu lernen, damit sie zwischen den verschiedenen Abteilungen kurzfristig und je nach Bedarf z.B. in Krankheitsfällen, verschoben werden können. Wenn jemand Erfahrung in allen Bereichen gesammelt hat, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ER in die besonderen Abteilungen wie Flow Control, Problem Solving oder Training wechseln kann. Obwohl diese Abteilungen nicht besser bezahlen (ein TL z.B. erhält unabhängig von der Abteilung einen Lohn nach Level-3), so halten die ArbeiterInnen, mit denen wir sprachen, die darin erlernten Fähigkeiten auch für andere Jobs für besonders nützlich und weil diese einen besseren Ausgangspunkt für eine Beförderung ins Management bieten würden. Der TL von Flow Control zählte einige Computerprogramme auf, die er bei Amazon erlernt hat, und dass er mittels Geld, das er bei Amazon angespart hatte, Kurse an einer Berufsschule belegen würde. Nach dem Abschluss an der Berufsschule, so hoffte er, könnte er in eine höhere Managementposition befördert werden, und falls nicht, so war er optimistisch, dass er anderswo etwas finden würde.
Von den rund zehn Arbeiterinnen und Arbeitern, mit denen wir sprachen und die als einfache LagerarbeiterInnen begonnen hatten, haben der TL von Flow Control und die Level-4 Büroangestellte die positivste allgemeine Haltung gegenüber Amazon, aber auch von den anderen äusserte niemand eine deutlich negative Ansicht über Amazon, speziell dann nicht, wenn es um den Vergleich mit früheren Arbeitgebern ging. Ein Level-1 Arbeiter zum Beispiel arbeitet bereits seit drei Jahren in Pack. Als wir ihn im Frühjahr 2016 das erste Mal trafen, hoffte auch er darauf, zum Manager befördert zu werden, wie ein Freund von ihm, von dem er berichtete, dass er wegen seiner Tüchtigkeit vom einfachen Lagerarbeiter ins mittlere Management aufgestiegen sei. Ein Jahr später war der Level-1 Arbeiter immer noch auf derselben Stelle, bekam aber schliesslich die Gelegenheit für ein Training als TL, weil zwei der sechs TLs der Abteilung in Schwangerschaftsurlaub gingen. Obwohl sich für ihn nun eine Gelegenheit bot, wirkte er zuletzt weniger ehrgeizig aufzusteigen und sah in dem Job bei Amazon vielmehr eine Gelegenheit, das Leben in der grossen Metropole solange geniessen zu können wie er noch jung sei und bevor er sich schliesslich entscheiden müsste, ob er wieder in seine Geburtsstadt in Zentralchina zurückkehren wolle oder nicht.
Ein anderer Arbeiter erzählte uns, er haben von höheren Löhnen in der Nachbarschaft einschliesslich dem gegenüberliegenden Warenlager von JD gehört, aber er denkt, dass das bisschen mehr Geld nicht den körperlichen und psychischen Stress, dem man sich in solchen Jobs aussetzen muss, und die für Überstunden verlorene Zeit aufwiegt. Jeden Tag vor und nach der Arbeit hören er und seine KollegInnen, wie Manager von JD die ArbeiterInnen durch Megaphone anbrüllen. Bei Amazon demgegenüber „ist es der Computer, der Dich zur Eile anhält“ (cui ni de shi diannao, bushi ren) und die gelegentlichen Vier-Augen-Gespräche oder Warnungen von ManagerInnen. Während ArbeiterInnen in anderen Ländern sich über diese perfiden Methoden zur Disziplinierung beklagen, ist das den Arbeitern, mit denen wir sprachen, immer noch lieber als die brutalere Alternative von nebenan.
Des Weiteren beschrieben die ArbeiterInnen die Arbeit bei Amazon als im Allgemeinen recht ungefährlich, da das Management grossen Wert auf Arbeitssicherheit lege. Amazon-ArbeiterInnen verschiedener Kontinente geben hierzu alle ähnliche Geschichten zum besten: Gemäss der Betriebsordnung muss beim Heruntergehen einer Treppe mit einer Hand der Handlauf gehalten werden. Als wir dieses Beispiel von absurden Sicherheitsregeln erzählten, ernteten wir dafür Gelächter auch unter den chinesischen ArbeiterInnen.
Als wir fragen, ob sie ihren Freunden und Verwandten Amazon zum Einkaufen empfehlen würden, antworteten die meisten, dass die Lieferzeiten von Amazon zu lang sein, besonders in ihren Heimatstädten müsste man lange warten, daher würden sie Amazon nicht empfehlen. Als Arbeitgeber haben jedoch mindestens zwei Arbeiterinnen ihre Anstellung bei Amazon durch Empfehlungen von Verwandten gefunden und eine wurde relative bald darauf befördert, weil der General Manager aus ihrer Heimatstadt kommt.
Wir sprachen mit zwei Arbeiterinnen, die eigene kleine Onlineshops für Kosmetika, Lebensmittel und verschiedene andere Produkte auf Yunji betreiben, mit einem anderen Onlinehändler, der Amazon mit Lagerung und Bedingung von Bestellungen beauftragt. Gegenwärtig ist es in China recht verbreitet, privat kleine Onlineshops zu betreiben, und in diesem Fall scheint ein Zusammenhang zwischen der hauptberuflichen Arbeit bei Amazon und dem Betreiben von Onlineshops nach Feierabend zu bestehen. Obwohl wir von verschiedenen Seiten von solchen Onlineunternehmungen erfuhren, hat nur eine Büroangestellte tatsächlich die Zeit, ihren Onlineshop halbwegs erfolgreich zu betreiben.
Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Berichts sprachen die ArbeiterInnen davon, dass Amazons Marktanteil in den letzten Jahren sinke, und vermuteten, dass nur einer von zehn Chinesen jemals überhaupt von Amazon gehört habe. Sie hatten beobachtet, dass es, nachdem viele um 2015-2016 das FC2 verlassen hatten, nur wenig Neueinstellungen gegeben hatte, und wann immer die Bestellungen zunahmen, mussten sie diese mit weniger Leuten als noch vor ein paar Jahren abarbeiten, weswegen die Arbeit zunehmend anstrengender wurde. Eine andere Beobachtung war, dass Amazon.cn in der Vergangenheit zunehmend abhängig von chinesischen Onlinehändlern wie Yunji geworden ist, für die es seine Logistikdienste vermarktet. Jetzt bauen diese Händler aber ihre eigenen Warenlager und werden vielleicht bald keine Dienstleistungen von Amazon mehr einkaufen. Einige ArbeiterInnen sahen darin ein schlechtes Omen für das FC2 und ihre individuellen Aussichten, dort aufzusteigen. Nachdem ArbeiterInnen Anfang 2017 ihren Jahresendbonus erhalten hatten, begannen viele, nach neuen Jobs Ausschau zu halten.
Künftiger Austausch
Als sich Amazon-ArbeiterInnen aus Polen und Deutschland trafen, um sich über ihre Streik- und Organisierungserfahrungen auszutauschen, zog ein Arbeiter aus Deutschland seinen Schichtplan für das Jahr hervor und suchte nach freien Wochenende für das nächste Treffen. Eine andere Arbeiterin aus Polen sah dies und fragte überrascht: „Moment, Du hast einen Schichtplan für das ganze Jahr im Voraus?“ und fügte an, „Wir bekommen nur monatliche Schichtpläne, weil das Management behauptet, dass die Kundenbestellungen und das Arbeitsaufkommen zu unvorhersehbar sind, um einen Schichtplan fürs ganze Jahr erstellen zu können!“ In deutschen Warenlagern nutzt Amazon Verkaufsdaten aus der Vergangenheit und Statistiken, um damit langfristige Vorhersagen zu ermöglichen – so wurde eine der vielen Lügen des Managements aufgedeckt. Im FC2 in der Stadt X erhalten ArbeiterInnen erst einen Tag vor Wochenbeginn den Schichtplan für die kommende Woche.Mit diesem Bericht hoffen wir, zum weiteren Austausch zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern beizutragen. Wir hoffen, die beschriebenen Eindrücke und Erfahrungen können dabei helfen, die Trennungen von ArbeiterInnen durch nationale und regionale Grenzen zu überwinden, die vom Management für die Strategie des Teilens und Herrschens genutzt werden. Um diesem Pfad weiter zu folgen, ist viel zu tun. Zum Beispiel könnte mehr Austausch zwischen chinesischen Lagerarbeitern über die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen bei JD, Alibaba und Amazon hilfreich sein, ebenso wie der Blick in die Arbeitsbedingungen von ArbeiterInnen im Transportwesen und bei den Lieferdiensten, die die Logistik für die Warenlager besorgen.