Zug – neu also auch ein Supermarkt für russische Kohle. Ebenso wie Glencore oder Gazprom im lieblichen Innerschweizer Kanton mit ihrem Hauptsitz oder einer Handelsabteilung vertreten sind, haben dem Kreml nahestehende Industriekapitäne Anfang der 2000er Jahre damit begonnen, ihre Holdings und andere Handelszweige in Zug zu errichten. Diese Firmen sind für den Export der in den Minen Sibiriens und des Fernen Ostens geförderten Kohle zuständig. Neben Genf und Lugano bildet Zug den dritten Eckpunkt des helvetischen Kohledreiecks.
Ab dem 29. August sind die Einfuhr, der Verkauf und die Erbringung von Finanzdienstleistungen, wie z. B. Brokerage (Trading), im Zusammenhang mit russischer Kohle in der Schweiz und in Europa vollständig verboten. Peinlich für Zug, das sich in aller Stille als Drehscheibe für diesen gefragten Energieträger aus Russland etabliert hat.
In einem Land, das noch immer keine Task Force zur Identifizierung russischer Gelder eingerichtet hat, ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) für die Durchsetzung der Sanktionen zuständig. Das SECO verfügt jedoch nicht über eine offizielle Zählung der Anzahl russischer Handelsunternehmen mit Sitz in der Schweiz. Auf der Grundlage eines Berichts des Bundesamts für Statistik schätzt es die Zahl solcher «russisch kontrollierten» Unternehmen jedoch auf 14, wie es uns bestätigte. Unsere Recherche zeigt, dass es in Tat und Wahrheit viel mehr dieser Handelsfirmen gibt. In Bern «der Eindruck» der Inspektoren
Laut einer Zählung von Public Eye sind in der Schweiz 240 Firmen im Handelsregister eingetragen, die mit Kohle, Koks oder festen fossilen Brennstoffen handeln, diese transportieren oder damit verbundene Finanzdienstleistungen anbieten. Eine beträchtliche Anzahl dieser Firmen befindet sich im Besitz von Oligarchen oder reichen Geschäftsleuten aus Russland. Unsere Recherchen haben ergeben, dass sich die neun grössten Kohleförderer Russlands in den letzten zwanzig Jahren in Zug oder im Nordosten der Schweiz niedergelassen haben. Nur einer von ihnen hat inzwischen seine Zelte abgebrochen.
In der ganzen Schweiz trifft dies auf 25 solcher Firmen zu. Vermutlich sind es sogar noch mehr, da das Schweizer Handelsregister keine Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten enthält.
Der Handel mit Kohle ist dabei besonders undurchsichtig und es gibt kaum Angaben, woher das gehandelte Produkt stammt, was oftmals in ausserbörslichen Geschäften, d.h. ohne den Umweg über eine Börse geschieht. Das SECO ist indes verpflichtet, bei Verstössen gegen das Embargogesetz, das seit dem 27. April die Unterzeichnung neuer Verträge verbietet, strafrechtlich vorzugehen. Die Höchststrafen betragen ein Jahr Gefängnis oder 500'000 Franken Busse; in schweren Fällen sogar fünf Jahre Gefängnis oder eine Million Franken Busse. Einige Fälle können vom SECO an die Bundesanwaltschaft weitergeleitet werden. Das SECO sagt jedoch, es habe «den Eindruck, dass sowohl Händler wie Finanzintermediäre sehr auf die Umsetzung der Sanktionen bedacht sind».
Am Donnerstag, dem 28. April, vier Monate vor Beginn des vollständigen Embargos, während der Rohstoffkonzern Glencore seine Generalversammlung im Casino-Theater in Zug abhält, sind die meisten Büros der Verkäufer von russischer Kohle leer oder scheinen zumindest mit halbem Tempo zu arbeiten. Eine Ruhe, die stark mit den grossen administrativen Manövern kontrastiert, die derzeit laufen: Die Unternehmen setzen ihre russischen Direktoren ab, und Eigentümer, die unter Sanktionen stehen, geben ihre Firmen in neue Hände. Bisher hat jedenfalls noch kein Unternehmen Konkurs angemeldet, bestätigt das kantonale Wirtschaftsdepartement, erinnert aber gleichzeitig an die Schwierigkeiten, den Überblick über die Branche zu haben. Die Schweiz – ein globales Schwergewicht im Kohlehandel
Repräsentiert durch ein schlichtes Büro in einem unpersönlichen Hochhaus oder einen von unzähligen Namen auf dem Briefkasten einer Treuhandfirma, gehören diese Zuger Firmen in Wirklichkeit zu den grössten Bergbauunternehmen Russlands. Diese Unternehmen konkurrieren mit dem Riesen Glencore auf dem Kohlemarkt und handeln von Schweizer Boden aus mit fast 75% der 212 Mio. Tonnen russischer Kohle, die exportiert werden; das ist das Resultat der Schätzungen von Public Eye, die sich auf die Daten der Unternehmen stützen. Die Schweiz, die sich auf der Klimakonferenz in Glasgow (COP26) im Herbst 2021 dazu verpflichtet hat, «die Kohle in die Geschichtsbücher zu verbannen», ist ein globales Schwergewicht im Kohlehandel.
In dem von Zug, Lugano und Genf gebildeten Kohlendreieck lassen sich drei typische Firmenprofile unterscheiden:
- Russische Förderer, die Kohle aus den Minen Sibiriens und dem Fernen Osten des Landes fördern und sie über ihre Handelsbüros, die hauptsächlich an der Baarerstrasse in Zug angesiedelt sind, vermarkten, ohne dass der gefragte Rohstoff jemals Schweizer Boden berührt.
- Reine Händler, die die Kohle auf den atlantischen und pazifischen Märkten verkaufen. Die Russen sind hier überrepräsentiert, gleichzeitig herrscht grosse Unklarheit über die wirtschaftlich Berechtigten dieser Unternehmen, die in Genf, Lugano oder Zug entstanden sind.
- Schweizer Banken, die trotz ihrer Versprechungen weiterhin den Kohlehandelsstandort Schweiz finanzieren. Die eingesetzten Summen, die in ihrer Buchhaltung zunehmend verschleiert werden, sind seit dem Pariser Abkommen von 2016 kontinuierlich gestiegen.
Die Produzenten: Russ aus Russland
In der zunehmend abgeschotteten Welt der Kohlehändler spielt Glencore zweifellos die Hauptrolle. Der Konzern aus Baar ZG förderte im Jahr 2021 selber 103,3 Mio. Tonnen Kohle und vermarktete weitere 67,7 Mio. Tonnen, die es von Dritten, insbesondere von russischen Unternehmen wie KTK (siehe Galerie unten), gekauft hatte. Ein Sprecher wollte nicht preisgeben, woher die vom Konzern gehandelte Kohle stammt oder ob es seine russischen Partner darüber informiert hat, dass das Unternehmen die Erfüllung der laufenden Verträge Ende August einstellen wird.Glencore ist der grösste Kohleexporteur der Welt, abgesehen von staatlichen Unternehmen. Doch in Wirklichkeit macht ihm ein anderes Unternehmen mit Sitz in der Schweiz die Krone des Kohlekönigs streitig. Das ist die Sibirische Energie- und Kohlegesellschaft, besser bekannt unter ihrem Akronym SUEK. Der grösste russische Kohleproduzent, der 2001 von dem russischen Milliardär Andrei Melnitschenko (der bis mindestens vor den Sanktionen in der Schweiz wohnte) gegründet worden ist, hat bis 2021 die gewaltige Menge von 102,5 Mio. Tonnen Kohle dem Boden entrissen; dazu kommen 17 Mio. Tonnen, die SUEK von Drittfirmen gekauft hat. Andrei Melnitschenko, der es ablehnt, sich als Oligarch bezeichnen zu lassen, und behauptet, dass er beim Aufbau seines Vermögens keinerlei politische Unterstützung erhalten habe, liess seine Firma im Dezember 2004 bei einem St. Galler Treuhänder domizilieren und verlegte die Holding und den Handelszweig von SUEK später in ein Büro an der Baarerstrasse, das sich den Eingang mit einer Filiale der Zuger Kantonalbank teilt.
Um die Sanktionen zu umgehen, ernannte Andrei Melnitschenko am 8. März, seinem fünfzigsten Geburtstag, seine Frau als Berechtigte (und damit eigentliche Eigentümerin) des Trusts, der SUEK besitzt. Dieses Manöver wurde als «legal» betrachtet, wie uns das SECO bestätigte, da es vor der Verhängung der Sanktionen, nämlich genau am Vortag, durchgeführt wurde. «Weder das Unternehmen noch die Ehefrau wurden bis heute (1. Juni 2022) sanktioniert», fügte ein Sprecher hinzu und verwies auch auf den «Erhalt von Arbeitsplätzen in der Schweiz». Die Beamten müssen nun sicherstellen, dass weder SUEK noch die Frau «Vermögenswerte» an Herrn Melnitschenko überweisen. «Das SECO kontrolliert dies», versicherte ihr Vertreter, ohne weitere Einzelheiten zu nennen. Zur Frage, ob das Ehepaar Melnitschenko in der Schweiz weiterhin gemeinsam besteuert wird, konnte das SECO keine Angaben machen. Zwei Tage nach dem Austausch mit dem SECO wurde Frau Melnitschenko von der EU auf die Sanktionsliste gesetzt. Am 10. Juni hat der Bundesrat auch dieses jüngste Sanktionspaket übernommen.
Zug, die Stadt der Kohle
Im Schatten des Riesen SUEK haben sich in Zug zur gleichen Zeit andere grosse russische Produzenten angesiedelt. Was haben sie gemeinsam? Sie werden alle von «Selfmade»-Geschäftsleuten gesteuert, welche die Diskretion pflegen und enge Verbindungen zum Kreml unterhalten. Unter anderem: Die russische Kolmar LLC hat sich nicht einmal darum bekümmert, ein Messingschild an dem mit Briefkastenfirmen gefüllten Gebäude anzubringen, in dem ihre 2016 in Zug registrierte Tradingfirma KSL AG ihren Sitz hat. Kolmar ist der aufsteigende Stern am russischen Kohlefirmament. Wie das russische Investigativ-Medium Agents aufdeckte, war dessen Mehrheitsaktionär zumindest bis 2018 die Grosscousine von Wladimir Putin, die mit dem Gouverneur der Kohleregion Kemerowo verheiratet war.Aus den von uns zusammengestellten Daten (siehe Portraits weiter unten) geht hervor, dass die in Zug (und Appenzell für SDS) vertretenen russischen Bergbauunternehmen im Jahr 2021 eine Kohleproduktion von 226,2 Mio. Tonnen erreichten. Tatsächlich ist von den neun grössten Kohleproduzenten Russlands nur einer nicht mehr in der Schweiz präsent: der sibirische Kohleproduzent Kuzbassrazrezugol, der im Besitz des Bergbauriesen UGMK ist. Er war der erste, der mit seiner Appenzeller Niederlassung Krutrade AG, die von 1998 bis 2005 registriert war, auf die Schweiz gesetzt hatte.
Auf Anfrage beantwortete kein einziges dieser russischen Bergbauunternehmen eine detaillierte Liste von Fragen zu ihrer Schweizer Niederlassung, ihren Kohleexporten oder ihrer Strategie im Hinblick auf das Inkrafttreten des Embargos. Von Seiten der Zuger Behörden verlautet, man wisse von keinem Insolvenzverfahren. In einem Land, das sein letztes Kohlebergwerk 1947 geschlossen hat, symbolisiert das neue helvetische Kohledreieck auf einzigartige Weise die Macht und Widerstandsfähigkeit der schädlichsten aller fossilen Energien. Kohle ist derzeit für 40 % des globalen Anstiegs der CO2 -Emissionen verantwortlich.
Der Grossteil der in Russland geförderten Kohle wird allerdings gar nicht durch die Schweiz transportiert. In Europa, dem wichtigsten Absatzmarkt, hat die Kohle zwei Eingangstore. Auf dem Seeweg (37 Mio. Tonnen pro Jahr) wird die Kohle auf grossen Massengutfrachtern transportiert, in den nordeuropäischen Häfen (Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen) entladen und auf dem Rhein nach Deutschland transportiert. Auf dem Landweg (ca. 8 Mio. Tonnen pro Jahr) wird die Kohle direkt per Bahn von Russland nach Polen befördert.
Die Händler: Süchtig machen nach schwarzen Diamanten
«Ein Diamant ist ein Stück Kohle, das gut auf Druck reagiert hat.» Dieses Zitat wird Henry Kissinger zugeschrieben, dem US-Aussenminister in der Nixon-Ford-Ära (1973-1977). Aus geologischer Sicht zweifelhaft, stellt diese Phrase dennoch ein gutes Narrativ dar. Die umweltschädlichste aller fossilen Energien hat auf den Märkten noch nie so sehr geglänzt. Die Überwindung der Pandemie, der Aufschwung, der Krieg in der Ukraine, die Verteuerung des Gases: Alles scheint die Kurse aufzublähen, die sich innerhalb eines Jahres verdreifacht haben. Im Jahr 2022 werden wir so viel Kohle verbraucht haben wie noch nie in der Geschichte der Menschheit.Trotz der schrittweisen Einführung des Embargos für russische Kohle könnte Russland weiterhin von den steigenden Preisen profitieren. Vorausgesetzt, es finden sich Käufer. Einige Bergbauunternehmen preisen nun auf ihrer Website den «Rekordpreis» für russische Kohle für ausländische Importeure angesichts des «Anstiegs des Dollars und des Euros» an. Mit einer Jahresproduktion von 460 Mio. Tonnen würden die Vorkommen des Landes (die zweitgrössten der Welt) laut dem BP-Bericht 2021 eine weitere Förderung für mehr als 400 Jahre ermöglichen. Heisst es nicht, dass Diamanten für immer sind? In Russland scheint niemand je daran gezweifelt zu haben.
Europäische Abhängigkeit
Europa ist stark von diesen russischen Bergbauunternehmen abhängig, die 68% seines Kohlebedarfs liefern. «Die grosse Herausforderung besteht darin, 45,4 Mio. Tonnen zu ersetzen», sagt Alex Thackrah, Analyst für den europäischen Kohlemarkt bei Argus Media, der Referenzagentur, die Preisindizes für Spotmärkte erstellt. «Es ist kaum vorauszusehen, was mit den Verträgen mit russischen Unternehmen passieren wird», räumt der Experte ein. «Das wird ein Albtraum werden». Für die Schweiz, die sich zum Knotenpunkt für russische fossile Energieträger entwickelt hat, dürfte es eine Herkulesaufgabe sein.Auch unser Land kommt noch nicht ohne Kohle aus. 2020 importierte die Schweiz 9'904 Tonnen russische Kohle, was etwa 7% der Gesamteinfuhr von fast 139'000 Tonnen entspricht. Im Jahr zuvor hatten die Importe aus Russland mit 10,7% einen Rekordwert erreicht. Global gesehen macht Kohle immer noch 36% des weltweiten Energiemixes aus.
Der Wilde Westen der Kohle
In Russland ist die Branche von einer besonderen Aura umgeben, mit knallharten Geschäftsleuten und nicht wenigen Grubenunglücken. Es gab eine Reihe von kometenhaften Aufstiegen und plötzlichen Besitzerwechseln, die von Kontroversen, gefährlichen Verbindungen zur Macht und nie geklärten blutigen Episoden begleitet wurden (siehe unten).Der jüngste Fall ist der Tod von Dmitry Bosov, einem in Zug ansässigen Mehrheitsaktionär der Sibanthracite Group, der im Mai 2020 in seiner Moskauer Villa mit einer Kugel im Kopf aufgefunden wurde, wobei eine Pistole neben ihm lag. Die offizielle Version lautet auf Selbstmord «ohne bekannte Ursache». «Diejenigen, die Dmitry Bosov kannten, glauben nicht, dass etwas den Unternehmer, der die Aluminiumkriege überlebt hat, zum Aufgeben gebracht haben könnte», heisst es in einem Artikel auf der Website des Unternehmens. Einige Wochen zuvor hatte Bosov öffentlich mit einem seiner Partner, Alexander Isaev, gebrochen und ihn der Veruntreuung von Geldern beschuldigt, wie die russische Tageszeitung Kommersant berichtete. Im Oktober 2021 wurde die Sibanthracite Group von Albert Avdolyan aufgekauft, dem neuen starken Mann in der russischen Kohleindustrie, und Bosovs ehemaliger Partner wurde wieder in den Vorstand zurückberufen.
Wladimir Putin sah früh das Potenzial der Kohle
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR Anfang der 1990er Jahre begann für die russische Kohleindustrie – wie auch für den Rest des Bergbaus – der Abstieg in die Hölle: Unglücke, ausstehende Löhne, katastrophale Arbeitsbedingungen und Streiks gehörten damals zum Alltag der Arbeiter. Die Branche benötigte eine drastische Verjüngungskur, da sie unter besonders hohen Gestehungskosten aufgrund der grossen Entfernungen zwischen den Minen, den Verarbeitungszentren und den Endverbrauchern litt. Mit der Unterstützung lokaler Gouverneure und Unterstützern im Kreml verbünden sich die Direktoren der Vorkommen und Minen mit jungen Leuten mit unterschiedlichem Profil, um die appetitlichsten Stücke zu privatisieren.Anfang der 2000er Jahre bildeten sich Imperien vor dem Hintergrund einer weit verbreiteten Korruption und mafiöser Abrechnungen. Die am wenigsten rentablen Standorte wurden geschlossen, das Land verlegte sich auf den Export und die Produktion konzentrierte sich nach und nach auf rund zehn Unternehmen. In dieser Zeit kaufte der spätere Milliardär Andrei Melnitschenko über die von ihm mitbegründete MDM-Bank reihenweise Beteiligungen an den wichtigsten Kohleunternehmen des Landes und fasst sie im Unternehmen SUEK zusammen. Dazu gehörte auch der Riese «Krasugol» (die Kohlegesellschaft von Krasnojarsk), die nach einigen Irrungen und Wirrungen und mit Hilfe des damaligen Gouverneurs Alexander Lebed, der zu jener Zeit als Nachfolger von Präsident Boris Jelzin gehandelt wurde, in seinen Besitz gelangte.
Wladimir Putin erkannte schnell das Potenzial der Branche, während die Kohlepreise zwischen 2007 und 2010 explodierten. Im Januar 2012 unterzeichnete er als Premierminister ein umfassendes Industrieentwicklungsprogramm im Wert von 119 Mrd. US-Dollar – davon 8,5 Mrd. aus öffentlichen Mitteln –, mit dem die Infrastruktur (vor allem der Schienen- und Schiffsverkehr) verbessert und die Kohleproduktion bis 2030 angekurbelt werden soll. Ohne Gewissensbisse unterstützt der Kreml seit 2019 aktiv grosse Kohleabbauprojekte in der Arktis.
Gleichzeitig wird Kohle zunehmend auf internationalen Märkten gehandelt und zum Objekt von Finanzprodukten. «Jahrzehntelang wurde Kohle in der Nähe ihrer Produktionsstätten abgebaut und verbraucht», erinnert sich ein Händler mit über 20 Jahren Erfahrung in der Branche. Doch nach den Ölkrisen der 1970er-Jahre wurde Kohle als Alternative weltweit gehandelt. Im Jahr 1980 wurden etwa 150 Mio. Tonnen Kraftwerkskohle gehandelt, heute sind es zehnmal so viel. Die ersten Finanzprodukte wurden um 2003 und 2004 eingeführt, als eine Vielzahl von Finanzvermittlern auftauchten.
Dieser doppelte Trend hat dazu beigetragen, die Schweiz als Handelsdrehscheibe zu profilieren. Während Russland in Genf seine Erdöl-Schachfiguren aufstellt, setzen die Kohleförderer auf Zug mit seiner differenzierten Besteuerung für ausländische Unternehmen (bis 2020) und seinen Finanzintermediären, die eine erleichterte Domizilierung in einer Kanzlei anbieten. In der Branche wird lieber auf die Ruhe des Ortes und die «Tradition der Stabilität und Rechtsstaatlichkeit des Landes» hingewiesen.
Resultat: In der Schweiz gibt es mindestens 25 Kohleunternehmen in russischem Besitz (die Hälfte in Zug, 5 in Genf), darunter 18 reine Händler, die für den Absatz der 212 Mio. Tonnen Jahresexporte nach Europa und auf die asiatischen Märkte zuständig sind. Aufgrund der Undurchsichtigkeit des Sektors gibt es keine Quelle, die systematisch dokumentiert, wie viele Ladungen russischer Kohle an Schweizer Händler weiterverkauft werden.
Glück auf, Schweizer Banken!
Während die Schweiz durch ihre Umwelt- und Energieministerin Simonetta Sommaruga am 15. November 2021 an der UN-Klimakonferenz COP26 die Torpedierung des Kohleausstiegs durch China und Indien anprangerte, arbeitete die Schweiz weiter daran, die grössten Umweltverschmutzer der Welt auf seinen Boden zu locken. Auf der Zuger Seite betont man, dass man russischen Unternehmen nie «gezielt» schöne Augen machen wollte, verweist aber auf die kantonale Konkurrenz: «Im Gegensatz zu anderen Standortmarketing-Organisationen hatten wir nie eine eigene oder gar physische Aktivität in Russland», so der Leiter des lokalen Wirtschaftsdepartements.Wir haben die Finanzströme der multinationalen Kohlekonzerne seit dem Inkrafttreten des Pariser Klimabkommens im Jahr 2016 nachverfolgt. Die in der Schweiz ansässigen Kohleproduzenten haben laut Daten des niederländischen Rechercheunternehmens Profundo fast 2,7 Mrd. US-Dollar bei zehn Schweizer Bankinstituten aufgenommen.
Sibanthracite und SUEK gehören zu den kapitalintensivsten Bergbauunternehmen in Zug: auf den Plätzen 3 und 4 (hinter Trafigura und Glencore), mit Krediten von 224 Mio. bzw. 145 Mio. US-Dollar, die Credit Suisse zwischen 2017 und 2019 gewährt hat. Trotz ihrer Verpflichtung, nur Unternehmen mit einer Strategie für den Kohleausstieg zu unterstützen, ist die zweitgrösste Bank der Schweiz mit fast 1,4 Mrd. US-Dollar, die sie zwischen 2016 und 2021 zugestanden hat, auch der grösste Geldgeber der Branche und steht nach unseren Daten weltweit an zehnter Stelle. Die Medienabteilung von Credit Suisse erklärte, sie könne sich «aus rechtlichen Gründen» nicht zu potenziellen Kunden äussern, und verwies auf ihren Nachhaltigkeitsbericht über ihre Strategie zur Desinvestition im Bereich Kohle. Diese sieht vor, dass bis 2025 keine Kredite mehr an Unternehmen vergeben werden, die mehr als 15% ihrer Einnahmen aus dem Abbau von Kohle oder der Stromerzeugung aus Kohle erzielen, «es sei denn, sie unterstützen die Energiewende». Dieser Satz wird bis 2030 auf 5% gesenkt.
Im Zeitalter des Anthropozäns – dem geologischen Zeitalter, ab dem der Mensch in der Lage ist, sein Ökosystem signifikant und langfristig zu verändern – war Kohle noch nie so globalisiert, finanzialisiert und in eine internationale Wertschöpfungskette eingebunden, in der die Schweiz eine führende Rolle spielt. Ein Blick auf die «indirekten» CO₂-Emissionen bestätigt dies. Berücksichtigt man nur die übertragene Produktion der russischen Kohleförderer in Höhe von 226,2 Mio. Tonnen, so dürften die Schweizer Emissionen um rund 407 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr steigen. Das entspricht der Umweltverschmutzung von 88,5 Mio. Privatautos, dem Vierzehnfachen des Schweizer Fahrzeugbestands.
Und es könnte noch schlimmer werden. Die Schwierigkeiten auf dem Gasmarkt (für den Kohle der direkteste Ersatz zur Stromerzeugung ist) und der kontinuierliche Anstieg der Preise für schwarze Diamanten dürften zweifellos das Interesse für Kohle fördern. Für Alex Thackrah vom Londoner Preis-Informationsdienst Argus Media ist es undenkbar, die Energiewende mit der Einführung wirksamer Sanktionen gegen russische fossile Brennstoffe zu verbinden und gleichzeitig die Energiesicherheit zu gewährleisten: «Es ist möglich, die russischen Kohlemengen zu ersetzen, aber es wird ziemlich kompliziert, wenn gleichzeitig das Gas abgestellt wird».
Seit dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar haben russische Unternehmen der Europäischen Union laut dem finnischen Forschungszentrum Crea etwa 1,5 Mrd. Euro für ihre Kohle in Rechnung gestellt. Ein Teil dieser Summe machte in Zug halt. Der Kanton berief sich jedoch auf fehlende Statistiken und wollte nicht über den steuerlichen Ertrag von Putins schwarzen Diamanten berichten.