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Swiss Re versichert in Brasilien illegal abgeholztes Agrarland

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Gewalt auf indigenem Land Swiss Re versichert in Brasilien illegal abgeholztes Agrarland

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Wirtschaft

Mit öffentlichen Zuschüssen der brasilianischen Regierung versichert der Schweizer Konzern Swiss Re Acker- und Weideland von landwirtschaftlichen Betrieben, das 16% der Fläche der Schweiz entspricht.

Firmenarchiv der Swiss Re am Mythenquai 50 in Zürich.
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Firmenarchiv der Swiss Re am Mythenquai 50 in Zürich. Foto: Juerg.hug (CC-BY 3.0 unported - cropped)

Datum 4. März 2024
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Öffentliche Daten zeigen, dass Swiss Re auch Verträge mit Farmen hatte, die illegale Tätigkeiten ausüben und zur Abholzung beitragen, dem grössten Verursacher von Treibhausgasemissionen in Brasilien.

Umweltverbrechen, bewaffnete Gewalt und der Einsatz von Sklavenarbeit sind weitere Vorwürfe an die Adresse von Farmen, die in letzter Zeit eine Versicherung bei Swiss Re abgeschlossen haben.

Im September und Oktober 2023 litten die grössten Flüsse im Amazonasgebiet viel stärker als üblich unter Wassermangel, was zum Tod von Tieren führte und das Überleben der lokalen Bevölkerung bedrohte. Gleichzeitig kamen im äussersten Süden Brasiliens bei einer durch einen Wirbelsturm verursachten Überschwemmung 50 Menschen ums Leben, deren Häuser von den Wassermassen weggeschwemmt wurden. In Städten wie São Paulo und Rio de Janeiro wurden extreme Temperaturen von fast 40 °C gemessen – höchst ungewöhnlich für diese Jahreszeit.

Wissenschaftler*innen deuten diese extremen Wetterphänomene als Folgen des Klimawandels und sagen voraus, dass sie im Land immer häufiger vorkommen werden. In Brasilien ist die Agrarindustrie der Sektor, der am stärksten zum Klimawandel beiträgt, nicht nur wegen der Emissionen, die durch Ackerbau oder Viehzucht entstehen, sondern auch wegen der Abholzung, durch welche die landwirtschaftlichen Nutzflächen immer mehr ausgeweitet werden.

Als einer der weltweit grössten Produzenten von Agrarrohstoffen gewährt Brasilien staatliche Prämienzuschüsse für landwirtschaftliche Versicherungen. Das entsprechende Programm, das in Brasilien abgekürzt PSR heisst, ermöglicht es den Farmen, von der Regierung einen Beitrag an ihre Versicherungsprämien zu erhalten. Swiss Re ist eines von 17 Unternehmen, die an diesem Programm teilnehmen können. In Brasilien ist der Zürcher Konzern nicht nur als Rückversicherer tätig, sondern bietet auch Unternehmensversicherungen für verschiedene Wirtschaftszweige an, darunter die Agrarindustrie.

Swiss Re unterstützt de facto illegale Aktivitäten

on 2016 bis 2022 hat Swiss Re mindestens 19 Versicherungspolicen für den Schutz von Ackerbau oder Viehzucht auf Betrieben abgeschlossen, bei denen die Behörden illegale Abholzung festgestellt und daraufhin ein umweltrechtliches Verbot für die betreffenden Flächen verhängt hatten. Die brasilianische Gesetzgebung verbietet den Anbau von Nutzpflanzen in diesen Sperrzonen, um die Regeneration der ursprünglichen Vegetation zu ermöglichen. Die Gewährung von Versicherungen für den Anbau von Nutzpflanzen oder die Tierzucht in solchen Sperrgebieten ist de facto eine Unterstützung illegaler Aktivitäten.

«Die Agrarindustrie trägt wesentlich mehr zum Klimawandel bei, wenn sie auf entwaldetem Land arbeitet. Da der Anbau in bestimmten Gebieten riskanter wird, steigt die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Versicherungen, die in Brasilien von der Regierung subventioniert werden. Mit anderen Worten: Die Farmer profitieren von der Abholzung und sozialisieren dann die Verluste – sprich: die Allgemeint bezahlt dafür», kritisiert Paulo Barreto vom Institut für Mensch und Umwelt im Amazonas (Imazon).

Nach Berechnungen des Observatório do Clima – einer Koalition brasilianischer zivilgesellschaftlicher Organisationen, die zur Erforschung des Klimawandels gegründet wurde – überstiegen die Bruttoemissionen aus der Entwaldung in Brasilien im Jahr 2021 die Gesamtemissionen eines Landes wie Japan.

Extreme Wetterereignisse sind der Hauptrisikofaktor für subventionierte Versicherungen von Agrarland, ein Markt, der exponenziell wächst. Zwischen 2015 und 2021 ist die Zahl der staatlich unterstützten Policen von 39800 auf 212900 pro Jahr angestiegen. In den ersten zehn Jahren (2005–2015) wurde fast die Hälfte der Versicherungsansprüche durch Ereignisse wie Dürre (30%) oder übermässige Regenfälle (8%) verursacht.

Nach Angaben des brasilianischen Ministeriums für Landwirtschaft und Viehzucht wurden in den letzten drei Erntesaisons vor allem im Süden des Landes immer häufiger immer extremere Wetterereignisse beobachtet. «Es gab direkte Auswirkungen auf viele Kulturen, insbesondere Soja und Mais, die unter längeren Dürreperioden litten», teilt das Ministerium in einer Erklärung mit. Infolgedessen sei das Interesse der Farmen am Abschluss von Versicherungen zum Schutz ihres Landes deutlich gestiegen.

«Hätten die betroffenen Farmer*innen keine Versicherung abgeschlossen, hätten sie höchstwahrscheinlich ihre Kredite, die in Brasilien grösstenteils vom Staat gewährt sind, nicht abzahlen können», sagt der Vorsitzende der Kommission für landwirtschaftliche Policen im Nationalen Versicherungsverband (FenSeg), Joaquim Neto. «Das wäre auch zum Problem für die Regierung geworden. Durch die Versicherung gab es Unterstützung für den Agrarsektor.»

Repórter Brasil hat auch Farmen ausfindig gemacht, die Land der indigenen Bevölkerung nutzten und den Anbau von Swiss Re versichern liessen. Ein anderer Kunde des Schweizer Konzerns war ein Kaffeebauer, der bei einer Inspektion der Regierung dabei erwischt wurde, wie er bei der Getreideernte moderne Sklavenarbeit betrieb.

Diese Recherche basiert auf Daten aus Versicherungsverträgen, die öffentliche Zuschüsse erhalten. Bei diesen Verträgen zahlt die brasilianische Regierung einen Teil der Prämie und gewährt den Farmen damit einen erheblichen Rabatt auf die Endkosten der Versicherung. Die Vertragsinformationen sind öffentlich zugänglich, einschliesslich der geografischen Koordinaten der versicherten Ländereien.

Auf die Frage nach einem Kommentar zu diesen Geschäftspraktiken erklärte Swiss Re nur ganz allgemein, dass «wir uns weiterhin ganz unseren Nachhaltigkeitsambitionen und -zielen verpflichtet fühlen und uns bemühen, Nachhaltigkeitsrisiken in unserem gesamten Geschäft zu identifizieren, zu managen und anzugehen. Bei der Evaluierung einer potenziellen Transaktion verwenden wir allgemein verfügbare Informationen, um die Einhaltung unserer Standards betreffend Umwelt, Soziales und Unternehmensführung zu gewährleisten. Wir werden auch weiterhin unsere Prozesse und Analysen aktualisieren, um die sich entwickelnden Nachhaltigkeitskriterien einzuhalten und neue Variablen zu berücksichtigen, sobald sie aufkommen, und auch um uns an Praktiken der guten Unternehmensführung anzupassen».

Das brasilianische Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht wurde ebenfalls mit den Resultaten dieser Recherche konfrontiert, erklärte aber in seiner Stellungnahme lediglich, dass es «keine offizielle Kenntnis von den gemeldeten Fällen hat». Und fügte an, dass es voraussichtlich bis 2024 ein System zum Monitoring der Subventionspolitik einführen wird, das derzeit getestet werde.

Illegaler Anbau in abgeholzten Gebieten

Im vergangenen Jahr belegte Swiss Re den vierten Platz unter den Versicherern mit den meisten Verträgen, die im Rahmen des brasilianischen PSR-Programms abgeschlossen wurden. Die Gesamtfläche, die der Schweizer Konzern in diesen Verträgen versichert hat – 659000 Hektar –, entspricht 16% der Fläche der Schweiz und damit fast dem grössten Kanton, Graubünden.

Nach eigenen Angaben will Swiss Re «die Welt resilienter machen», also widerstandsfähiger. Der in 25 Ländern tätige Konzern hat im ersten Halbjahr 2023 einen Nettogewinn von 1,4 Milliarden US-Dollar erzielt, was dem Profit des gesamten Jahres 2021 entspricht. Gegenüber seinen Aktionär*innen und anderen Interessengruppen betont der Konzern stets sein grosses Umweltengagement. Laut dem Nachhaltigkeitsbericht 2022 besteht eines der wichtigsten Ziele darin, auf die Neutralisierung seiner Treibhausgasemissionen hinzuarbeiten – ein Ziel, das der Konzern bis 2050 erreichen will.

Hehre Ziele also. Durch die Versicherung der Farm Manto Verde könnte Swiss Re jedoch zum Ende der artenreichsten Savanne der Welt beigetragen haben – des brasilianischen Cerrado, einer Region mit über 10000 Pflanzenarten, von denen 40% einzigartig sind, und die sich über fast 200 Millionen Hektar erstreckt. Der Cerrado ist eine der am stärksten bedrohten Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen des Landes, und der Verlust seiner ursprünglichen Vegetation trägt erheblich zum Klimawandel bei.

Die geografischen Koordinaten der 17 Versicherungspolicen, die Swiss Re zwischen 2016 und 2022 für den Sojaanbau auf der Farm Manto Verde abgeschlossen hat, stimmen genau mit einem 2400 Hektar grossen Gebiet innerhalb der Ländereien überein, das mit einem umweltrechtlichen Verbot belegt ist. Dieses wurde vom Staat verhängt, weil die Eigentümer, die Gebrüder Kumasaka, den brasilianischen Cerrado illegal abgeholzt und dort ohne Erlaubnis Nutzpflanzen angebaut hatten.

Bei Inspektionen der Bundesregierung wurden in den Jahren 2018, 2020 und 2022 massive Verstösse auf der Farm Manto Verde festgestellt, einschliesslich des Anbaus von Nutzpflanzen in diesen Gebieten. Dies führte zu Geldstrafen in der Höhe von insgesamt etwa 3 Millionen US-Dollar.

Nach Angaben des Anwalts der Familie Kumasaka, Edson Vieira Araujo, sind die Umweltauflagen für Manto Verde «das Ergebnis eines institutionellen Streits zwischen den Umweltbehörden». Er erklärt, dass sich die Farm «im Prozess der Legalisierung befindet». Im Mai dieses Jahres wurde das Verbot durch ein Gerichtsurteil ausgesetzt, nachdem die Farm eine Umweltlizenz für ihre Aktivitäten beantragt hatte. Allerdings war das Verbot noch in Kraft, als die Verträge mit Swiss Re unterzeichnet worden waren.

Swiss Re gibt vor, die Sperrzonen einzuhalten

In einem anderen Fall in der Cerrado-Region schloss Swiss Re im Jahr 2020 eine Transaktion mit Edvair José Manzan ab, um eine 547 Hektar grosse Sojaplantage auf der Farm São Francisco in der Gemeinde Peixe im Staat Tocantins zu versichern. Im November 2018 war ein umweltrechtliches Verbot für jenes Land verhängt worden, auf dem die Behörden später die illegale Abholzung von 92 Hektar feststellten. Manzan behauptete gegenüber Repórter Brasil, dass das Soja nicht in einem Embargogebiet angebaut würde: «Nur ein Teil der Ländereien wurde von der Regierung mit einem Verbot belegt. Der Rest der Farm arbeitet absolut gesetzeskonform, die versicherte Anbaufläche unterliegt keinem Verbot.»

In einem anderen Fall im Amazonasregenwald unterzeichnete der Viehzüchter Jefferson Luiz Bazanella einen Vertrag mit Swiss Re, um 27 Tiere der Farm Queda Livre in Novo Progresso im Bundesstaat Pará zu versichern. Ein Teil dieser Farm war jedoch sechs Jahre zuvor mit einem umweltrechtlichen Verbot belegt worden, als bei einer Inspektion illegale Abholzung auf dem Gelände festgestellt worden war. Bazanella hat unsere E-Mails mit der Bitte um Stellungnahme nicht beantwortet.

Viehzucht ist die Hauptursache für die Entwaldung des Amazonas – der «grünen Lunge» des Planeten, die einen Drittel der weltweiten Tropenwälder ausmacht und deren Erhalt als unabdingbar gilt, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 zu erreichen. In ihrem letzten Nachhaltigkeitsbericht verpflichtet sich die Swiss Re, «die Wiederaufforstung des brasilianischen Atlantikwaldes» zu unterstützen. Ihre Versicherungsaktivitäten im Cerrado oder im Amazonasgebiet werden in dem Dokument aber nicht erwähnt. Der Konzern erklärt auch, dass er «keine Aktivitäten unterstützt, die zur Umwandlung oder Verschlechterung ökologisch sensibler Gebiete beitragen, und insbesondere geschützte Gebiete respektiert, einschliesslich Stätten des Weltkulturerbes». Sowohl der Cerrado als auch der Amazonasregenwald umfassen Landstriche, die auf der Schutzliste von Naturstätten der Unesco stehen.

Unter dem vorherigen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro kehrte die Abholzung des Amazonas auf das hohe Niveau von 2008 zurück, da seine Regierung viele Vorschriften und Kontrollen im Umweltbereich gekippt hatte. Jüngste Daten des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (Inpe), einer brasilianischen Bundesbehörde, welche die Entwaldung überwacht, zeigen, dass unter Bolsonaros Nachfolger Lula die Entwaldungswarnungen im Amazonasgebiet in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 um 33,6% zurückgegangen sind. Im Cerrado hingegen stieg die Abholzung im gleichen Zeitraum um 21%.

Sowohl Bazanella als auch der Sojabauer Manzan haben die Versicherung übrigens auch in Anspruch genommen und Zahlungen von Swiss Re erhalten. Der Tod eines Tieres aus Bazanellas Herde führte zu einer Entschädigung von rund 2000 US-Dollar, während Manzan wegen einer Dürre rund 27000 US-Dollar erhielt.

Gewalt auf indigenem Land

Vor sieben Jahren wurde ein Gebiet von 56000 Hektaren (etwas kleiner als Singapur) im Bundesstaat Mato Grosso do Sul von der brasilianischen Regierung offiziell als Teil des traditionellen Territoriums der Guarani und der Kaiowá ausgewiesen. Laut dem anthropologischen Bericht, der zu dieser Entscheidung führte, wurden die dort lebenden indigenen Gemeinschaften im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder zwangsumgesiedelt, während ihr Land von Farmer*innen besetzt wurde. Der Bericht identifizierte auch Dutzende von Landwirtschaftsbetrieben, die 2016 noch in dem umstrittenen Gebiet existierten, das als indigenes Land Dourados-Amambaipeguá I bezeichnet wird. Bis zum heutigen Tag konnten diese Farmen durch rechtliche Schritte gegen diese Bezeichnung verhindern, dass sie dieses Gebiet verlassen müssen.

Einer davon, Virgílio Mettifogo, ist auch einer der fünf Farmer, die des Mordes an Clodiodi Aquileu Rodrigues de Souza, einem Angehörigen der indigenen Kaiowá-Gemeinschaft, beschuldigt werden. Das Verbrechen ereignete sich 2016, einen Monat nach der Entscheidung der Regierung, den Anspruch der indigenen Bevölkerung auf das Gebiet anzuerkennen. Den Ermittlungen zufolge organisierten Mettifogo und vier weitere Farmer einen Überfall auf das indigene Gebiet. Dabei wurden sie von über 100 Personen unterstützt, viele davon bewaffnet; zum Einsatz kamen etwa 40 Pick-up-Geländewagen und 3 Bagger. Wegen des Angriffs, der als Caarapó-Massaker bekannt wurde, mussten sechs weitere Mitglieder der Gemeinschaft, darunter ein Kind, schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Sie wurden von Kugeln in Herz, Kopf, Bauch, Magen oder Arm getroffen.

Versicherte Farmen auf indigenem Land

Auch Mettifogo ist Kunde bei Swiss Re in Brasilien. Zwischen 2020 und 2021, als er bereits Angeklagter im erwähnten Mordfall war – ein Prozess, der immer noch anhängig ist –, schloss das Unternehmen drei Versicherungspolicen mit ihm ab, um seine Ernten in der Region gegen Klimaereignisse wie Trockenheit oder Frost finanziell abzusichern. Die geografischen Koordinaten eines dieser Verträge überschneiden sich mit dem Land der Indigenen. Andere Verträge, die mit Mettifogo unterzeichnet wurden, beziehen sich auf seine Farm Edurama, die an Dourados-Amambaipeguá I angrenzt und mit einem anderen auf seinen Namen laufenden Betrieb innerhalb des indigenen Territoriums verbunden ist.

Repórter Brasil hat mindestens vier weitere Farmer identifiziert, die ihre Ernten innerhalb von Dourados-Amambaipeguá I bei Swiss Re versichert haben.

Laut Marco Antônio Delfino de Almeida von der Staatsanwaltschaft in Dourados im Bundesstaat Mato Grosso do Sul besteht kein rechtliches Hindernis für die Gewährung einer Versicherung für dieses indigene Land, da der Prozess der endgültigen Homologierung des Gebiets noch nicht abgeschlossen ist. Nach der Identifizierung von indigenem Land in anthropologischen Berichten gebe es noch einen langen Weg mit vielen Interventionsmöglichkeiten für die betroffenen Landbesitzenden. «Die Versicherung von Anpflanzungen in umstrittenen Gebieten steht jedoch nicht im Einklang mit dem Völkerrecht und internationalen Unternehmensstandards, vor allem nicht bei Institutionen, die sich zur Einhaltung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und zur Einhaltung von Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Richtlinien verpflichtet haben», so Almeida.

Mettifogo wurde von Repórter Brasil kontaktiert und antwortete über seinen Anwalt, der erklärte, sein Mandant habe zu dem Fall «nichts zu sagen». Swiss Re selbst erklärt in ihren Nachhaltigkeitsrichtlinien, dass sie «keine geschäftlichen Tätigkeiten unterstützen, die sich negativ auf lokale Gemeinschaften und die Rechte bestimmter Personengruppen auswirken, beispielsweise das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung für indigene Völker».

Das Caarapó-Massaker war nur einer von 24 Angriffen auf indigene Gemeinschaften in Mato Grosso do Sul, welchen die Bundesstaatsanwaltschaft zwischen 2000 und 2016 nachgegangen war. Die dabei angewendete Gewalt veranlasste Menschenrechtsexpert*innen dazu, diese Taten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Mit 120000 Personen ist Mato Grosso do Sul, wo sich Caarapó befindet, der Bundesstaat mit der drittgrössten indigenen Bevölkerung Brasiliens. Viele von ihnen leben in prekären Verhältnissen, verteilt auf kleine, von der Regierung im frühen 20.Jahrhundert abgegrenzte Gebiete.

«Wissen diese Agrarversicherer eigentlich, dass sie eine regelrechte Belagerung der indigenen Bevölkerung unterstützen?»,

fragt Matias Rempel, regionaler Koordinator des indigenen Missionsrats (Cimi), einer Organisation, die sich für die Rechte dieser Menschen einsetzt. «Es ist absurd und unmoralisch, dass Banken und Versicherer diese Plantagen finanzieren und absichern», erklärt er.

Simão Kaiowá ist einer der Überlebenden des Massakers von Caarapó. Er lebt in der Nähe des Grabs des ermordeten Souza – das dort liegt, wo dieser getötet wurde – und sagt, dass er noch heute eine Kugel in der Brust trägt, die von den Schüssen dieses Tages stammt. Kaiowá reiste mit Repórter Brasil über einige der Strassen, welche die Region durchqueren, und zeigte Farmen, die innerhalb von Dourados-Amambaipeguá I liegen. Eine davon heisst Santo Onofre und ist auf den Namen von Jorge Luiz Rolim gemeldet. In der Guarani-Sprache heisst der Ort, an dem Rolim seine Feldfrüchte anbaut, jedoch «Javoraikue» was «Haus des Javorai» bedeutet – in Anspielung auf einen Gebetsführer der Gemeinschaft.

Zwischen 2016 und 2022 hat Rolim sechs Versicherungspolicen für den Anbau von Sojabohnen und Mais in diesem Gebiet mit Swiss Re abgeschlossen. Die letzte, welche die Ernte 2022/2023 abdeckte, war bis Ende Mai dieses Jahres gültig. «Und hier war die Laguna Joha», fügt Kaiowá hinzu und verweist auf einen weiteren Bezugspunkt seines Volkes, wo heute die Familie Camacho ihre Farmen bewirtschaftet. Eine davon ist Copacabana, die João Camacho gehört, der zwischen 2019 und 2022 drei Verträge mit Swiss Re unterzeichnet hat.

Zwei weitere Fälle von Swiss-Re-Verträgen mit Koordinaten, die sich mit indigenem Land überschneiden, betreffen einerseits die mit Gilmar Frenhan zwischen 2020 und 2022 unterzeichneten Policen auf der Farm Santa Tereza. Das Land gehört einem anderen Eigentümer, aber Frenhan hat seit 2020 die Genehmigung, dort Sojabohnen anzubauen. Und andererseits drei Verträge, die Swiss Re zwischen 2017 und 2021 mit Lucilo Carlos Ciceri für die Versicherung der Farm Diamante unterzeichnet hat. Ciceri ist 2022 verstorben, aber der Betrieb produziert weiter. Kaiowá ist überrascht, als er erfährt, dass die Plantagen in der Gegend versichert sind:

«Unser indigenes Land ist in den Händen der Farmer, und sie können trotzdem eine landwirtschaftliche Versicherung abschliessen!»,

protestiert er. Die Farmer haben entweder nicht auf unsere Anfragen geantwortet oder waren für das Team von Repórter Brasil nicht zu erreichen.

Trotz Sklaverei von Swiss Re versichert

Bei einer Inspektion der Farm Bom Jardim im Bundesstaat Minas Gerais, auf der Fuad Felipe Kaffee anbaut, stellten brasilianische Behörden im Jahr 2020 fest, dass der Produzent 39 Landarbeiter*innen während der Kaffee-Ernte unter sklavereiähnlichen Bedingungen beschäftigte. Die Inspektor*innen trafen auch auf Kinderarbeit auf dem Grundstück: Unter den befreiten Arbeiter*innen befanden sich drei 14-Jährige.

Weniger als zwei Monate nach der Inspektion unterzeichnete Felipe einen Vertrag mit Swiss Re, um eine Kaffeeplantage auf einer anderen seiner Ländereien zu versichern. Anschliessend, in den Jahren 2021 und 2022, schloss er erneut Versicherungspolicen bei Swiss Re ab, diesmal für den Sojaanbau auf derselben Farm, auf der die Arbeiter*innen befreit worden waren.

Swiss Re unterliegt dem britischen Modern Slavery Act von 2015, der für alle Unternehmen gilt, die in Grossbritannien einen Jahresumsatz von über 36 Millionen Pfund erzielen. Darin werden diese Unternehmen verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, um moderne Sklaverei in ihren Aktivitäten und Geschäftsnetzwerken zu erkennen, zu verhindern und abzumildern, sowie jährlich über diese Massnahmen zu berichten.

In ihrem Geschäftsbericht 2020 – dem Jahr der Intervention auf der Farm Bom Jardim – erklärte Swiss Re, dass Menschenrechtsverletzungen, Zwangsarbeit und Sklaverei ihren Nachhaltigkeitsrichtlinien widersprechen würden und zum Ausschluss von Geschäftspartnern führen könnten. Doch der Versicherer hat weder dort noch in einer seiner nachfolgenden Erklärungen spezifische Risiken und Massnahmen im Zusammenhang mit Sklavenarbeit in Brasilien erwähnt.

Laut den Inspektor*innen der Bundesregierung, welche die Razzia auf der Farm Bom Jardim durchgeführt haben, arbeiteten die Opfer ohne Arbeitsverträge, hatten keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und wurden nur unzureichend mit Schutzausrüstung versorgt. Die Rettungsaktion fand auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie statt, und die brasilianischen Behörden betonten, dass keinerlei Massnahmen zur Prävention von Infektionen in der Arbeitsumgebung getroffen worden waren.

Ein Problem waren auch die fehlenden sanitären Anlagen auf den Plantagen, wo Männer und Frauen unterschiedlichen Alters Kaffee ernteten. «Die Menschen mussten ihre Notdurft in der Natur verrichten, ohne jegliche Privatsphäre», heisst es in dem Inspektionsbericht, zu dem Repórter Brasil Zugang hatte.

Nach brasilianischem Recht gehört solch entwürdigende Arbeit zu den Kriterien, die «moderne Sklaverei» definieren. Dies war denn auch das Vergehen, dessen Fuad Felipe von der Farm Bom Jardim angeklagt wurde. Seit 1995 wurden durch solche Inspektionen in Brasilien mehr als 60000 Menschen aus sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen gerettet, wobei 90% der Fälle Landarbeiter*innen betrafen. Anfragen von Repórter Brasil nach einer Stellungnahme wurden von Felipe nicht beantwortet.

Staat will Kontrolle ab 2024 verstärken

Das Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht kontrolliert nur 1% aller subventionierten landwirtschaftlichen Versicherungspolicen. Dabei überprüft es die in den Dokumenten gemachten Angaben und führt Besichtigungen vor Ort durch. Beides hat jedoch nicht verhindert, dass Verträge für Gebiete abgeschlossen wurden, in denen es soziale und ökologische Missstände gibt.

«In Brasilien gibt es heute Instrumente, um diese Überschneidung von Versicherung und Sperrzone zu vermeiden», meint Paulo Barreto von Imazon. Er verweist auf die mögliche Verwendung von Satellitenbildern in Kombination mit öffentlichen Daten über die Gebiete von Farmen und die darin liegenden Sperrzonen. «Damit könnten wir 100% der Verträge analysieren und bräuchten keine Stichproben zu nehmen», fügt er hinzu.

Das Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht bestätigt, dass das Überwachungssystem, das aktuell getestet und voraussichtlich 2024 zur Verfügung stehen wird, viele Datenbanken mit Informationen über die Bevölkerung und die Umwelt abgleichen wird. Dazu gehören Satellitenbilder, die offizielle Liste von Sklavereifällen sowie Informationen über Betriebe, die einem umweltrechtlichen Verbot unterliegen und sich mit indigenem Land überschneiden.

Laut einer im Juni 2022 von der brasilianischen Aufsichtsbehörde für Privatversicherungen veröffentlichten Verordnung liegt die Verantwortung für die Überprüfung, ob der Betrieb die erwarteten sozioökologischen Parameter einhält, bei der Versicherungsgesellschaft.

In ihrem Nachhaltigkeitsbericht von 2022 erklärt Swiss Re, dass sich ihr Team für Risiken bei Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsthemen mit potenziell problematischen Fällen befasst. Diese Gruppe kann ein bestimmtes Geschäft sistieren. Weltweit führten lediglich 21 der 250 Fälle, mit denen sich das Team im Jahr 2022 befasst hatte, zu Vertragskündigungen. Etwa 17% der gesamten im Jahr 2022 durchgeführten Risikoanalysen bezogen sich auf Menschenrechts- oder Umweltfragen. Aus dem Dokument geht jedoch nicht hervor, wo oder wann diese Fälle aufgetreten sind.

«Die Versicherung von Betrieben mit Unregelmässigkeiten lässt Zweifel an der Fähigkeit von Swiss Re aufkommen, bei ihren Geschäften die gebotene Sorgfalt walten zu lassen»,

resümiert Merel van der Mark, Koordinatorin der Forests & Finance Coalition. Zu dieser Allianz von Organisationen, welche die Finanzierungen von Agrarunternehmen analysieren, die potenziell der Umwelt schaden oder Menschenrechte verletzen, gehört auch Repórter Brasil.

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