Bei Demonstrationen gezeigte Transparente und Spruchbänder und auf billiges Zeitungspapier gedruckte Kampfbroschüren sind das eine. Sie können mit einem medienwirksamen Blitzlicht einen Missstand kurz beleuchten oder in Erinnerung rufen. Aber in Zeiten der Medien-Hypes sind sie, so ist zu beobachten, auch schnell wieder vergessen. So ist der Entscheid, zu einem Unternehmen mit einer hochproblematischen Business-Strategie ein richtiges, schön gestaltetes und auch normal im Buchhandel erhältliches Buch herauszugeben, sehr gut verständlich. Nicht nur die Landwirtschaft soll ja nachhaltig sein, auch kritische Beobachtungen und deren Bekanntmachung verdienen eine höhere Nachhaltigkeit.
Zum Inhalt des Buches
Einfachheitshalber sei hier die Inhaltsübersicht zitiert, wie sie Ueli Gähler von MultiWatch der Zeitung des Europäischen BürgerInnenforums ARCHIPEL gegeben hat: «Im ersten Teil 'Syngenta auf der Weltbühne' führen die Autorinnen und Autoren auf eine kleine Weltreise und schildern Syngenta als wichtigen Protagonisten des globalen kapitalistischen Agrobusiness. Syngenta ist der weltgrösste Pestizidhersteller und der drittgrösste Saatgutproduzent. Marianne Spiller aus Brasilien berichtet über die Ermordung des Landlosen-Gewerkschafters Keno durch die Angestellten einer von Syngenta beauftragten Sicherheitsfirma und über die kürzlich erfolgte diesbezügliche Verurteilung des Multis.Paul Scherer analysiert Syngentas Rolle beim Projekt 'Golden Rice', das als trojanisches Pferd für die Verbreitung von transgenem Saatgut in Asien dienen soll. Der Beitrag über Syngentas Testfelder auf Hawaii schildert den Kampf der Aktivistinnen und Aktivisten, die auf Einladung von MultiWatch an der Syngenta Aktionärsversammlung 2015 aufgetreten waren, weil Syngenta sich weigert, Schutzzonen zwischen ihren Pestizid-Sprühgebieten und lokalen Schulen und Wohngemeinden zu akzeptieren. Der Basler Geograph Martin Forter informiert über die Giftmülldeponien der Syngenta-Vorläuferfirmen in der Region Basel. Im zweiten Teil des Schwarzbuches 'Vor und hinter den Kulissen' wagt das Kollektiv eine erste Analyse des Basler Multis. Mit ihren Pestiziden, Saatgutsorten und Patenten ist Syngenta aufs engste mit dem internationalen Agrobusiness und den kapitalistischen 'Cash Crop'-Monokulturen verbunden. Dass Syngenta ein 'schweizerischer' Konzern sei, ist natürlich ein Märchen. Das zeigt die Aktionärsanalyse. Schliesslich schildern die Autorinnen und Autoren das Lobbying Syngentas in Washington und Brüssel und die spezielle Ideologieproduktion und 'Greenwashing'.»
Namhafte Autoren
Das Schwarzbuch zu Syngenta ist denn auch nicht nur von einer kleinen Gruppe von Schweizer Anti-Globalisierungsgegnern geschrieben. Mitgearbeitet haben auch namhafte Wissenschaftler. Speziell erwähnt dabei sei Miguel A. Altieri, Professor für Agrarökologie an der Berkely University in Kalifornien, der als chilenisch/US-amerikanischer Doppelbürger vor allem die zunehmende Verwüstung Lateinamerikas durch die Agromultis im Auge hat. In seinem Vorwort nennt er ein paar Zahlen:«Die Intensivierung der Landwirtschaft durch Hochertragssorten, Düngung, Bewässerung und Pestizide beeinträchtigt die natürlichen Ressourcen, die Umwelt sowie die Gesundheit von Mensch und Tier. Jedes Jahr werden externe Kosten in Milliardenhöhe verursacht. Infolge ihrer ökologischen und genetischen Homogenität und der daraus folgenden Anfälligkeit auf Insektenplagen, Pflanzenkrankheiten und Unkräuter sind Monokulturen stark pestizidabhängig. In den letzten 35 Jahren ist der Pestizideinsatz weltweit massiv angestiegen. Die jährliche Zunahme beträgt in gewissen Regionen um die 5 Prozent. Im Jahre 2007 wurden weltweit Pestizidmengen von knapp 2,4 Millionen Tonnen zum Marktwert von 39 Milliarden USD eingesetzt.
Heute sind es bereits über 50 Milliarden USD. Alleine in den USA erreicht der Jahresverbrauch der verschiedenen Pestizide mehr als 500'000 Tonnen. Die indirekten Umweltkosten, das heisst die negativen Auswirkungen auf Tierwelt, einschliesslich Bestäuber und natürliche Feinde, auf Fischerei, Wasserqualität, Bodenkontamination etc., sowie die durch Vergiftungen und Krankheiten verursachten sozialen Kosten belaufen sich ebenfalls auf Milliardensummen.»
Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des überhandnehmenden Land-Grabbings schreibt Altieri: «In den vergangenen zwanzig Jahren sind die besten Anbauflächen Lateinamerikas für die Produktion transgener Ackerfrüchte (vor allem Soja, Mais, Baumwolle und Raps) in Beschlag genommen worden. Deren Grossproduzenten sind eng mit ausländischen Investoren verbunden. Somit kontrollieren diese nun Millionen Hektaren erstklassigen Acker- und Viehwirtschaftslandes in Paraguay, Bolivien, Brasilien und anderswo. Dieses Land-Grabbing führt zu einer ganzen Reihe von Problemen.
Die ausländische Herrschaft über Land und Ressourcen unterhöhlt die regionale und nationale Ernährungssicherheit. Zwar sichern Nahrungsmittelimporte stabilere einheimische Preise und befriedigen die wachsende städtische Nachfrage, doch konkurrenzieren sie die einheimische kleinbäuerliche Produktion, was zur Vertreibung von Bauernfamilien und zu einer noch höheren Bevölkerungsdichte in den Städten führt. Gleichzeitig fliesst der grösste Teil der von ausländischen Firmen in den kommerziellen Landwirtschaftssektoren erzielten Profite in die Länder, in denen diese Konzerne ihren Hauptsitz haben – im Falle von Syngenta in die Schweiz.»
Syngenta soll von chinesischem Kapital übernommen werden
Hinter dem Schwarzbuch Syngenta steckt mehrjährige Arbeit. Dass es gerade jetzt zur Publikation kommt, da Syngenta für einen Kaufpreis von über 40 Milliarden Franken in die Hände des chinesischen Konzerns ChemChina* kommen soll, ist sicher Zufall. Aber die Übernahme der Syngenta durch die Chinesen bringt es natürlich mit sich, dass die widernatürliche Monokultur-Landwirtschaft und ihre negativen Auswirkungen bald einmal auch in China überhand nehmen werden – zum Nachteil weiterer Millionen von Kleinbauern.Keine Erwähnung: die Risiken der Schweiz
Aus terminlichen Gründen ist es verständlich, wenn auch schade, dass ein Aspekt im Schwarzbuch nicht mehr zur Sprache kommt. Die Schweiz hat bekanntlich mit China ein Freihandelsabkommen unterschrieben, und wie bei allen Freihandelsabkommen der Schweiz kommt bei Streitigkeiten zwischen den Investoren und dem Staat ein Schiedsgericht zum Einsatz, also keine nach den Kriterien unseres Rechtsstaates operierende Instanz.Konkret ist es fast immer das in Washington DC in den USA anässige und der Weltbank unterstellte ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes). Dort pflegen Rechtsanwälte aus der Privatwirtschaft eben nicht nur als Interessen-Vertreter der beteiligten Parteien aufzutreten, sondern auch als Schiedsrichter zu entscheiden, wie viel ein Staat zahlen muss, wenn ein Investor zum Beispiel aufgrund eines neuen Gesetzes die erwarteten Gewinne nicht realisieren kann. Eine Anfrage beim Seco von Infosperber hat diesen Umstand konkret bestätigt.
Das Seco wörtlich: «Der Investitionsschutz wird in dem am 13. April 2010 in Kraft getretenen bilateralen Investitionsschutzabkommen (ISA) mit China geregelt (SR 0.975.224.9). Der Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus erlaubt es dabei den Investoren, bei einer Vertragsverletzung vor einem internationalen Schiedsgericht – wie dem ICSID – ein Schiedsverfahren einzuleiten und Schadenersatz geltend zu machen.» Bei diesen Schadenersatz-Forderungen geht es, notabene, schnell einmal um Milliarden und nicht nur um Millionen. Die zunehmenden Gefahren bei einer Inkraftsetzung des US/EU-Freihandelsabkommens TTIP werden im Schwarzbuch immerhin noch kurz angesprochen.