UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Wie kommt die Welt nur weg vom Geld?

2334

Finanzwirtschaft und Systemzwang Wie kommt die Welt nur weg vom Geld?

barcode-677583-70

Wirtschaft

Ein aktueller Witz über Griechenland – ein Kabarettist gibt ihn im Ersten Deutschen Fernsehen zum Besten – geht so: Hans hat vier Äpfel. Er isst neun… Und das war er schon, der Witz.

Euro-Scheine auf einem Din A 4 Blatt.
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Euro-Scheine auf einem Din A 4 Blatt. Foto: Frank Schwichtenberg

Datum 8. Juli 2015
1
0
Lesezeit19 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Wir verstehen: „Die Griechen“ haben über ihre Verhältnisse gelebt, haben mehr verbraucht, als sie erwirtschaftet haben, und nun sind es die Steuerzahler erfolgreicherer Nationen, die die vorwitzig gefressenen fünf Äpfel von ihren redlich zusammengekratzten Sparguthaben rütteln und schütteln sollen. Griechenland leidet zwar derzeit nicht unter einer Krise seiner Apfelbäume, sondern unter einer, in der es um Geld und Finanzen geht. Aber da weiss der hochintelligente Kabarettist: Geld ist Apfel und Apfel ist Geld, denn mit Geld kauft man Äpfel, und wer sie verkauft, für den sind Äpfel Geld. Nur, bitte, es gibt da einen kleinen Unterschied: Äpfel kann man essen, ja, aber ganz sicher nur diejenigen, die wirklich da sind, und keinen einzigen mehr. Geld dagegen kann man – nun gut, nicht einmal essen – aber aus- und weitergeben, selbst wenn man es schuldet und insofern gar nicht hat. Und jetzt kommt's: Weiss der Witzbold, dass heute alle Geldmengen der Welt in dieser Weise unterwegs sind, nämlich grundsätzlich und ausnahmslos als Schulden? Geld ist kursierender Kredit, und Kredit, das ist Geld, das jemand schuldet: Wir alle leben, da wir von Geld leben, insofern auf Pump und verbrauchen Geld, das wir letztlich genausowenig „haben“, wie jener Hans die fünf verbotenen Äpfel.

Selbst „die Deutschen“ – wenn wir einmal tun, was die Abendländler so gerne tun, und setzen die Leute ineins mit dem Staat, in den sie einsortiert sind –, selbst diese Deutschen also haben Schulden, leben mit und von Schulden: den Schulden, die Deutschland hat. Schon davon gehört? Auch die USA sind verschuldet, wer will's glauben, und egal, ob Japan, ob Burundi, ganz unter uns: Ein jeder Staat ist es. Die ganze Welt also lebt von Äpfeln, die sie nicht hat – falls wir die Welt ernsthaft mit dem lachenden Auge des Kabarettisten betrachten wollen. Ja, aber leider gehört dazu auch das weinende Auge, das mit ansehen muss, wie Griechen und andere es mit ihren Krediten und Schulden einfach nicht gebacken kriegen und trotzdem – geht doch nicht! Nun, und warum geht es nicht?

Vielleicht weil Griechenlands Wirtschaft im Umgang mit diesen Kreditgeldern nicht genug an Gewinnen abgeworfen hat, mit denen es irgendwelche anderen in der Welt ausreichend hätte bezahlen können? Und das, weil es um dieses Geld, das man da zu zahlen hat, eine weltweite und knochenharte Konkurrenz gibt? Und weil diese Konkurrenz – big surprise – doch allen Ernstes die Wirkung hat, dass sie ihre Wirkung hat: dass sich da nämlich einige durchsetzen gegen andere und dass diese anderen also, tja, in dieser Konkurrenz unterliegen. Selber Schuld: Warum sind sie nicht wettbewerbsfähiger und haben, anstatt zu unterliegen, andere zum Unterliegen gebracht? So machen es „wir“ – also, Beweis: Es geht doch! Wir haben zum Beispiel, unter anderem mit siemensen Schmiergeld-Summen, Griechenland niederkonkurriert. Hm, ach so. Aber – musste doch sein, oder nicht? Sonst stünden doch wir jetzt, wo die Griechen stehen!

Geld und Äpfel

Für mich wäre schon ein solch dummer Witz wie der von Hansens Äpfeln Grund genug, das Geld abzuschaffen. Aber natürlich gibt es dringlichere, weiter reichende und vor allem blutigere Gründe. Warum jedoch dringen die so wenig durch? Weshalb wird all die Jahre ohne jede Ermüdung, ja sogar mit wachsendem Nachdruck noch das letzte und aberwitzigste der Milliarden Probleme einer Finanzwelt bedacht und betrillert, die ganze Länder und Heerscharen von Menschen zu Boden schlägt, statt dass man sich für einen Moment dieser Möglichkeit widmet: die Versorgung mit Äpfeln nicht vom unmöglichen Gelingen all der widerstreitenden Geld-Notwendigkeiten abhängen zu lassen, sondern einfach und allein von einer guten Pflege der Apfelbäume! Der dumme Kabarettisten-Witz: Er ist Beleg für einen der hartleibigsten Gründe, weshalb diese Möglichkeit gar nicht erst in den Blick genommen wird. Geld und Äpfel, oder Geld und alles, wovon wir Menschen nun einmal wirklich leben, es gilt uns für ein und dasselbe. Weil Äpfel und alles für Geld zu bekommen ist und weil wir auf diese Weise tatsächlich von Geld leben, scheint in unseren Augen alles, wovon wir wirklich leben, Geld zu sein: dasselbe wie Geld. Geld abzuschaffen, das hiesse für uns: das abschaffen, wovon wir leben. Wer kann so verrückt sein? Wer kann überhaupt auf die Idee kommen?

Ich sage: Jeder müsste es, der die deprimierenden bis grauenhaften Folgen und Bedingungen dessen erlebt, dass unser Wirtschaften nicht einfach und direkt nur dem gilt, uns gut zu versorgen, sondern zuerst und zuletzt und vor allem dem Erwirtschaften von Geld – und davon und von dessen unguten Gesetzen ist unsere Versorgung dann abhängig.

Dass dem so ist; dass Wirtschaften insgesamt vom Erwirtschaften von Geld abhängt: So zwingend uns beides heute als dasselbe erscheint, das hat sich kein Mensch ausgedacht. Es war keine Idee, die da einem oder vielen gekommen wäre und die, weil sie so gut war, alsbald allen anderen Menschen weltweit eingeleuchtet hätte. Es hat sich auch nicht aus dem Geld selbst ergeben, in einer naturgesetzlichen Entwicklung von den Kauris bis zum Girokonto: Geld musste nicht zu jenem Geld führen, von dem dann alles Wirtschaften abhängt. Dass es dazu kam, war vielmehr eine – bedauerliche – europäische Sonderentwicklung.

Geld, so wie es bis dahin gewesen war, hatte jahrtausendelang sehr stabil immer nur den geringeren Teil der Güter an den Mann gebracht, von denen eine Gemeinschaft lebte, während die Hauptsache an Gütern den Menschen auf andere Weise zukam, zuletzt meist feudalistisch. Doch in den westeuropäischen Ländern und aufgrund ganz eigener Bedingungen schlug dieses Verhältnis gegen Ende des 16. Jahrhunderts zum ersten Mal um: Jetzt war es zum ersten Mal tatsächlich das Geld, worüber dort der Hauptteil der Güter an die Menschen vermittelt wurde. Sie mussten sie kaufen, brauchten dafür ständig Geld und so auch ständig etwas zum Verkaufen, was andere kaufen mussten, damit jene ersteren Geld dafür bekamen, mit dem sie – und so fort. So wurde Geld zum Geldsystem.

Systemzwang

Und das ist leider unumkehrbar. Wie das? Es ist unumkehrbar in dem Sinn, dass es historisch zwar allmählich und Stück für Stück so weit gekommen ist, dass aber von dem Moment an, da es eingetreten ist, dies Eingetretene nicht Stück für Stück und allmählich wieder vergehen kann und übergehen in etwas Anderes, das es ablösen würde. Als dieses System kann es nur fortwirken, besteht es in dem Zwang, fortzubestehen, sich selbst zu behaupten – oder es bricht: insgesamt und gewaltsam. Wie unwillig man vor kurzem auch die offiziellen Kundgaben vernommen haben mag, die Rettung bestimmter Banken sei deshalb „alternativlos“, weil diese Banken nun einmal „systemrelevant“ seien, so gewiss hat man damit nicht etwa eine neoliberale Lüge vernommen, sondern die biedere Wahrheit. Es ist eine Tatsache: Es gibt da ein System, welches fortbestehen muss oder aber insgesamt stürzt und tatsächlich stürzen würde, wenn ihm bestimmte relevante Grössen verloren gingen. Diese Tatsache besteht nicht erst seit 2008, aber bis dahin war sie mit einem starken Tabu belegt.

Erst dank der massiven Krise wurde sie nun mit einem Mal so offen ausgesprochen, und erstaunlicherweise gar von Seiten einer Regierung, in deren Kundgaben sonst immer nur jene „Menschen“ und „Bürger“ figurieren, die alles, alles, alles mit ihrer freien demokratischen Wahl entscheiden würden. Von Systemzwang war vorher keine Rede gewesen und durfte nicht die Rede sein, weil doch die freiheitlich-demokratische Grundordnung so etwas wie System und Zwang keinesfalls verträgt und nie im Leben dulden würde – es sei denn, natürlich, was will man da machen, der Systemzwang bestünde zufälligerweise wirklich. Und das tut er: Das System und sein Zwang bestehen, und nicht erst, seitdem höhernorts das Wort „systemrelevant“ ausgesprochen wurde, sondern seit das Geld zum Hauptvermittler alles Wirtschaftens geworden ist.

Denn von diesem Anfang an, wenn die Versorgung einer Gesellschaft insgesamt von Geld abhängig geworden ist, gilt: Jeder, der gegen Geld etwas verkauft hat, hat nur dann weiterhin Geld in Händen, wenn er später wieder etwas dafür kaufen kann – wenn es also Geld bleibt. Nur dann kommt er folglich mit eben diesem Geld auch weiterhin zu den Dingen, von denen er zu leben hat, und nur dann kommt die Mehrheit zu dem, womit sie sich versorgen kann und versorgen muss – denn vom Geld hängt in diesem System ja alles Entscheidende ab, in dieser Abhängigkeit eben gründet das System. Nur wenn Geld Geld bleibt, kommt jeder in diesem System weiterhin zu all den lebensnotwendigen Dingen, die nur gegen Geld zu bekommen sind. Und bekommt er sie gegen Geld von jemandem, der damit auch seinerseits nur dann weiterhin Geld in Händen hat, wenn –. So ist jeder Kauf und Verkauf eine verpflichtende, eine zwingende Anweisung auf die Zukunft, in der es immer weiter Käufe und Verkäufe geben muss, damit das Geld, für das ich etwas weggegeben habe, auch Geld bleibt, für das ich etwas bekomme.

Nein, bis dahin war das nicht so: Da wurde aus dem Gold, mit dem vielleicht eben noch getauscht und gehandelt wurde, ohne weiteres ein kunstreicher Kerzenständer gefertigt und der bleibt der Kerzenständer, der er ist, egal ob nun weiter in der Welt gehandelt und getauscht wird oder nicht. Und falls, dann lässt er sich notfalls wieder einschmelzen. Unsere auf Konten notierten Guthaben dagegen lassen sich nicht verarbeiten und nicht einschmelzen, sie bestehen aus nichts: Sie müssen als Geld fungieren können, nur das, um weiter Geld zu sein. Und diese Funktion des Geldes, die zwanghaft jede Gegenwart an alle Zukunft bindet, die lässt sich nicht teilen, die kann nicht allmählich zerfallen. Sie kann ganze Länder zerfallen lassen, das wohl, und das tut sie reichlich, aber davon löst sich der Zwang nicht auf, in dem sie als ganze besteht.

Geld als Kapital

Das bringt manche auf die Idee, der Weg weg von einem Geld, das uns per Finanzwirtschaft in Krisen stürzt, wäre eben der, Geld zurückzuführen in die Form einer kerzenständermässig wirklichen Substanz – so wirklich wie ein Apfel, den man essen kann. Aber auch das geht nicht, oder genauer: Dann könnte man das Geld gleich ganz abschaffen. Denn eine jede insgesamt über Geld vermittelte Wirtschaft unterliegt jener stählernen Notwendigkeit: dass Geld mehr Geld werde. Und dazu muss es immer mehr werden können – was keine wirkliche Substanz vermag: kein Gold, keine Äpfel, keine Rinderherden. Es ist ein bedauerlich harmloses Missverständnis des Wachstumszwangs, ihn durch menschliche Gier bedingt zu sehen. Dabei weiss jeder: Ein Geschäft ist nur eines, wenn es mehr Geld abwirft, als es vorher an Geld erfordert hat. Und auf solchen Geschäften basiert eine geldvermittelte Wirtschaft nun einmal notwendig, auf Geldgeschäften: Nichts anderes bedeutet es, dass sie geldvermittelt ist. Diese Geschäfte müssen nicht ausnahmslos alle gelingen, aber, wie alles in der Geldwelt, in der Hauptsache.

Das müssen sie weltweit und immer weiter, dann und nur dann funktioniert dieses System – das daher notwendig kapitalistische System, es bedarf der Kapitalfunktion des Geldes: aus Geld mehr Geld zu werden. Nur mit ihr funktioniert das Geldsystem – wenn auch leider mit all dem üblen Drum und Dran, womit es sich längst unredlich verdient hat abgeschafft zu werden. Das alles aber bedeutet umgekehrt: Mit einem Geld, das diese Systemanforderung nicht erfüllt – und ein Geld aus lauter kerzenständermässig wirklicher Substanz erfüllt sie bei weitem nicht –, kann das System auch nicht funktionieren. Es würde zusammenbrechen. Und deshalb wäre die Reduktion von Geld auf die Wirklichkeit von Äpfeln nicht bloss ein schlechter Witz, sondern gleichbedeutend damit, das Geldsystem gleich ganz abzuschaffen – und damit auch das Geld.

Aber nein, ergeht da ein Aufschrei, dieses Geld doch nicht, das gute, das feste! Es wäre doch dann ein ganz anderes Geld, eines, das gerade nicht mehr mit unserem Geldsystem zusammenhinge, eines, das ihm nicht mehr gehorchte und nicht mehr an sein vermaledeites Überleben gebunden wäre! Egal, was mit diesem System geschehen würde, ein solches Geld zum Festhalten, substantiell und kernig wie eine Scheibe Bio-Holz, könnte überhaupt nicht „zusammenbrechen“. Und besser noch, es könnte nicht nur nicht zusammenbrechen oder sich in Luft auflösen oder uns irgendetwas von diesen widerlichen Krisen bescheren, es wäre endlich ein Geld ohne die vielen Fehler unseres Geldes. Es kann keinen Zins abwerfen, oder wenn es dies versucht, verbieten wir es ihm.

Also gibt es mit diesem Geld keinen Gewinn, niemand kann daher auf Gewinn aus sein, die Gier erstirbt und jeder verlangt nur genau so viel, wie ihn das Verkaufte in irgendeiner Form selbst gekostet hat. Da so etwas wie Gewinn gar nicht erst entsteht, kann es keine Konkurrenz darum geben, die Menschen lassen sich gegenseitig in Frieden, sie lassen die Natur in Frieden und zusammenbrechen kann dabei gar nichts mehr. Ja, vielleicht erreichen wir das Gleiche sogar schon mit der Einführung jener Regionalgelder, wie sie allenthalben spriessen. Oder noch einfacher, womöglich genügt einer der vielfach vorgeschlagenen Tricks, mit denen man dem Geld das Zinstragen austreiben will. Oder, wenn wir es uns recht überlegen, gehen eigentlich schon die unzähligen Wünsche nach einer schärferen Kontrolle der Banken und Kredite und Finanztransaktionen in die richtige Richtung: Das Geld wird an die Kandare genommen, so dass es sich nicht mehr unendlich vermehren kann. Und wenn es sich nicht mehr unendlich vermehren kann –

Ja, dann tatsächlich verträgt sich dies nicht mehr mit dem Geldsystem. Das Geldsystem wäre mit einem solchen Geld nicht möglich, es würde brechen. Da mögen sich auch seine Anhänger keine Illusionen machen: Selbst etwas so vergleichsweise Harmloses wie die strengere Bankenaufsicht, an der doch für keinen der emsigen Krisenbedenker ein Weg vorbeiführt, verträgt sich nicht mit dem Geld‑ und – nennen wir es noch einmal beim Namen – dem kapitalistischen System. Jede entschiedene Zurücknahme der oft verteufelten Deregulierung würde eingreifen in den Bereich eben jener Systemrelevanz, die keinen Eingriff duldet, wenn das System nicht fallen soll. Ein System, das auf dem Mehrwerden von Geld beruht, verträgt es nicht, wenn diesem Mehrwerden wirksame Schranken gesetzt werden. Schranken setzt es sich schon selbst eng genug, ja eigentlich viel zu eng, da es sich gerade dank seines anhaltenden und massenhaften Erfolgs längst Schwierigkeiten bereitet damit, weltweit genügend Möglichkeiten zu immer noch weiterer Vermehrung aufzutun – daher doch die Krisen.

Selbst etwas so kreuzbrav und systemkonform Gedachtes also wie eine Rettung des Systems, die es lediglich besser kontrolliert haben will, läuft auf seine Abschaffung hinaus. Sie liefe hinaus auf einen Zusammenbruch dessen, wofür – wir erinnern uns – gewisse Banken und ihr finanzielles Gedeihen nun einmal strikt „relevant“ sind. Wer der Finanzwirtschaft die Zügel anlegen will, fordert, ohne es zu wissen, ihr Ende, er fordert Unmögliches: dass untergeht, was er zu retten und zu bessern wünscht. Einige haben sich ja wahrhaftig gewundert, dass es nach der Krise an den Börsen und in den Banken nicht wirklich anders zuging als bisher, kaum einen Hauch kontrollierter als davor. Ein Skandal? Nein, es war anders nicht möglich, etwas anderes ist für das System eine Unmöglichkeit.

Nicht doch!

Nun gut, aber wir sprachen doch von einem Geld aus ganz realer Substanz – die könnte noch immer nicht mit untergehen. Und überhaupt, kehren wir den Gedanken doch einfach einmal um: Dieses System ist anfällig! Ist das nicht die beste aller möglicher Nachrichten? Es bricht zusammen, wenn – ? Soll es doch! Also, frisch gewagt, Vollmilch als Geld eingeführt und dann in aller Ruhe zugesehen, wie das System sauer wird!

Sehr gern – nur eine ganz kleine Frage zunächst: Was soll dann überhaupt noch unser Vollgeld, Bremsgeld, unser Geld-ganz-ohne-Zins? Das Geld wäre tot – folglich lebe das Geld? Nicht doch! Wir hätten das Geld endlich los, wir würden nicht mehr vom Geld leben, all das üble Drum und Dran wäre erst einmal entmachtet, und wir? Wir hätten nichts Besseres zu tun, als am Geld festzuhalten? Endlich hinge nicht mehr alles am Geld – wozu dann noch irgendetwas von Geld abhängen lassen? Um dankbar eine Vermittlungsform zu ehren, die wir zu Unrecht in den Orkus geschickt hätten? Oder weil sie, auf solche Weise zurecht gestutzt, nur noch Gutes täte? Auweia – was täte sie denn? Geld würde sich weiter rechnerisch dazwischenschieben, wenn Menschen hie und da einander etwas gäben oder zugute täten, vortrefflich! Aber wichtiger, viel wichtiger noch: Geld, solches Geld, würde sich nicht wieder zusammenschliessen zu einem System der Versorgung.

Geld, das nicht kapitalistisch funktioniert, ergibt auch kein solches System – zur Erinnerung: weil Geld nur unter der Sonderbedingung, dass es kapitalistisch funktioniert, ein solches System ergibt. Die Versorgung, die es als dieses System leistet, schliesst zwar neber anderen unerträglichen Übeln mit ein, dass eine Milliarde Menschen buchstäblich hungert, also alles andere als wirklich versorgt wird – das ist wahr. Und dennoch gilt: Ein Geld, das nicht auf diese Weise funktioniert – auf diese grauenhafte Weise –, ergibt überhaupt kein System der Versorgung. Folglich auch kein besseres.

Geld ohne das Geldsystem wäre ein Geld, das ebenso wie vor 1600 nur einen Bruchteil der benötigten Lebensmittel an die Menschen vermittelt. Und ein solches Geld, das Vermittlung und Versorgung nicht in der Hauptsache leistet, sondern nur am Rande, setzt voraus, dass eine andere Hauptart der Versorgung besteht und eingerichtet ist, – oder es gibt in der Hauptsache keine Versorgung. Einen solchen anderen Zusammenhang aber, der unsere Versorgung stiften würde, haben wir nicht. Hie und da gibt es Selbstversorgung, gibt es – ermutigend, aufstrebend – entsprechende „Commons“. Doch wie weit die inzwischen auch greifen mögen, verglichen mit dem, was heutzutage an Versorgung über Geld läuft und laufen muss, bemisst sich ihr Anteil lediglich in den berühmten homöopathischen Dosen. Von denen aber kann die Welt nicht leben: Globuli machen den Globus nicht satt.

Na dann, worauf warten wir noch, richten wir es eben so ein, dass die Versorgung anders läuft! Leben wir denn nicht in Demokratien? Da haben doch wir zu bestimmen! Wir müssen nur endlich auf unserer demokratischen Macht und Wahl bestehen! Doch ach – auch da gibt es ein Problem, ein ganz gewaltiges, um nicht zu sagen: das gewaltigste aller Probleme. Und zwar nicht das viel besprochene, dass uns „die Wirtschaft“ mit ihrer Macht unsere Demokratien kaputtmachen würde und dass wir deswegen erst wieder auf mehr Demokratie und mehr Macht und Durchsetzungskraft des Staates hoffen und pochen müssten. Nein, den Staaten, in die wir genauso ausweglos hineingeboren werden wie in das fertig eingerichtete Geldsystem, diesen Staaten fehlt nicht die Macht.

Sie sind mächtig genug, um demokratisch für sich zu sorgen. Und das tun sie unter anderem, indem sie sich und alle, die sie ihrem Staatsgebiet zuzählen, aufs Geld verpflichten – auf Geld, so wie wir es heute kennen. Das haben sie sich sogar in ihre Verfassungen geschrieben: Marktwirtschaft, etwas anderes darf nicht sein. Demokratisch wählen dürfen wir nur sie, Marktwirtschaft: die Wirtschaftsform mit Geld, mit dem kapitalistischen, weltzerstörenden Geldsystem. Wer sich demokratisch wählen lassen will, darf die Bibel verkünden oder Cannabis für alle, egal, nur eines muss er verkünden: die Wirtschaft mit dem Geld. Und da achten die Staaten nicht nur scharf auf die Auswahl derer, denen sie ihre Macht übertragen lassen. Wenn mit irgendetwas in der falschen Richtung Ernst gemacht wird, so fackeln sie nicht lange, da werden sie sofort höchst ungemütlich.

Sie dulden Regionalgelder, Tauschkreise, Kooperativen, die sich selbst versorgen, ja. Aber die dulden sie nur, solange nichts davon jener Wirtschaft in die Quere kommt, für die die Staaten eigene Ministerien halten. Solange irgendwelches Regionalgeld in strukturschwachen Gebieten, wie das heisst, zur Belebung der sonst lahmenden Wirtschaft beiträgt – in Ordnung. Würde es aber wagen und es vermögen, einen massgeblichen Anteil an Wirtschaftsleistung zu übernehmen und damit den Geschäften in der Nationalwährung zu entziehen, so wäre sofort Schluss mit lustig. Der heutige Staat, der selbst vom Geld lebt und dafür den Erfolg kapitalistischen Geschäfts befördern muss, soviel er nur kann, kann keine Einschränkung dieses Geschäfts dulden. Und es nicht zu dulden, dazu hat er verdammt viel Macht, hat er seine Nationalen Sicherheits-Agenturen und hat er seine Drohnen der Gewalt.

Flammenmeer

Das sind die zwei grossen Hoffnungslosigkeiten, an denen der Gedanke „Weg vom Geld!“ zerschellt: das System und seine Gewalten. Jeder Versuch im Kleinen, das Zusammenleben, die Produktion von Gütern und ihre Verteilung nicht über Geld und nicht nach seiner Logik laufen zu lassen, ist wertvoll und kostbar – gerade da er kostenlos daherkommt. Doch selbst wenn es noch viel mehr von solchen Ansätzen gäbe und wenn sie alle schön zusammenwirken würden, um etwas ganz Anderes zu verwirklichen, am Geldsystem würden sie nicht kratzen: Sie könnten es nicht. Schon dass keiner von den sympathischen Leuten, die sich solchen Ansätzen widmen, nicht letztlich doch auf Geld angewiesen ist, und wäre es das Geld derjenigen, die ihm ein Leben ohne Geld ermöglichen.

Wir bleiben insgesamt angewiesen auf Geld und also darauf, dass es als dieses System funktioniert: solange nicht ein anderes Geflecht darunter aufgekommen ist, über das wir uns versorgen könnten. Und dass kein solches aufkommt, dafür sorgen die Staaten und Gewalten, deren Macht mittels dieses Gelds besteht und ohne dieses Geld nicht bestehen würde. Selbst also, wenn das Wunder doch geschähe und die allmähliche Vermehrung der sympathischen Ansätze erreichte ein Mass, dass sie in der Lage wären, Geld zu ersetzen und die Versorgung an seiner statt zu übernehmen: Dann wäre das Geld abgeschafft, ja. Aber da gäbe es noch immer Mächte und eine Supermacht, denen es Jahrzehnte eines Kalten Kriegs wert war, jede Einschränkung eines heute „alternativlos“ gewordenen Geldgebrauchs zu verhindern oder rückgängig zu machen, wo auch immer auf der Welt. Und man überlege kurz, worum sie heute ihre heissen Kriege führen. Glaubt jemand, sie würden bei dieser Gelegenheit zögern?

Geld, wie es heute ist, hat sich allmählich ergeben, aber es kann nicht ebenso allmählich wieder vergehen. Es kann nicht nach und nach zerfallen oder gemütlich übergehen in eine Form der Gesellschaft und ihrer Wirtschaft, die nicht mehr über Geld vermittelt wäre. Vergehen wird es, muss es, da bin ich sicher. Nur steht sehr zu fürchten: mit einem grossen Knall. Und ich kann mir nicht helfen, ich stelle es mir dann so vor wie bei der Löschung eines Grossbrands: Wasser ist da nutzlos, es muss eine ganze Sprengladung her, deren Explosion für einen kurzen Moment das Flammenmeer auspustet; dann erst kann man mit den Schläuchen kommen und die erledigen den Rest. Also: Der Grossbrand, das ist längst das Geld; die Explosion, das wäre eine Mordskrise, die gleich in mehreren Staaten das Finanz‑ und Geldsystem wegfegt; und dann müssten viele, viele von denen bereit stehen, die endgültig nicht mehr das Geld retten und es erneut bedienen wollen, sondern – für die Äpfel sorgen. Gemütlich wird es sicher nicht.

Eske Bockelmann
streifzuege.org