Schulterschluss statt Fragen
Das Neuartige nach den „Charlie Hebdo“-Morden ist, dass es nun einen Schulterschluss gibt, ein Zusammenrücken aller gegen „den Terror“ und auch jene in einer Schockstarre sind, die zuvor zumindest ansatzweise weiterführende Fragen gestellt haben. Die demagogischen KulturkämpferInnen unterschiedlichster Couleur nützen dieses Klima meisterhaft, um die Debatte nun ein für alle Mal auf „den Islam“ zu reduzieren. Soziale und weltpolitische Hintergründe bleiben ausgeblendet.Dass die heuchlerischen Kriegsherren und -damen bei ihrer Regierungschef-Kundgebung in Paris nicht über westliche Kriegspolitik sprachen, sondern über die Ausweitung von Überwachung und Repression, ist klar. Und auch die Ratlosigkeit in den Kommentarspalten der meisten Blätter verwundert nur wenig – wenn auch die totale Ausblendung der weltpolitischen Realität angesichts der Entwicklungen in Syrien und Irak bei der Auseinandersetzung mit den Pariser Anschlägen schon ein Kunststück ist. Beunruhigend ist aber in der Tat, dass auch in liberalen, nachdenklicheren Zusammenhängen immer öfter die Frage auftaucht, ob das nicht doch alles im Islam angelegt ist. Das begann mit den massenhaften Teilnahmen an den „Charlie Hebdo“-Gedenkkundgebungen. Das spontane Bedürfnis, sich gegen die Morde zu artikulieren, ist verständlich. Nur: gegen wen oder was richteten sich die Mahnwachen und Demonstrationen eigentlich? Die komplexen Ursachen dafür, weshalb junge Männer und Frauen in den Dschihad ziehen, wurden auf diesen Veranstaltungen jedenfalls nicht thematisiert. Stattdessen wurde verschwommen von „Meinungsfreiheit“ oder überhaupt von „Freiheit“ geschwafelt.
Linksliberale brechen „Tabus“
Noch schlimmer ist, wenn in vorgeblich linksliberalem Kontext nun Debatten darüber angezettelt werden, dass man nun doch endlich mal mit alten Tabus brechen müsse. „Denn freilich hat das alles mit dem Islam zu tun“, schreibt etwa Manfred Klimek fürs Vice-Magazin. Motivation seines Textes ist ein angeblicher „Shitstorm“ der „Gruppe der linksgrünen Gutmeinenden“ gegen das liberale österreichische Nachrichtenmagazin Profil. Letzteres hatte nach den Morden von Paris die Hinrichtung des muslimischen Polizisten durch die islamistischen Täter auf dem Titelblatt. Überschrift: „Was den Islam gefährlich macht“. Darüber gab es etwas Aufregung – wohl nicht zu unrecht. Der Vice-Autor jedoch will nun endlich mit dem Gutmenschen-Diskurs brechen und Klartext reden: „Der Koran ist ein Buch der Regeln und Befehle, die vor allem der Unterwerfung dienen.“ Im Gegensatz etwa zur Bibel biete dieser keinen Interpretationsspielraum. Eventuell wäre der Mann gut beraten, sich mal eine Ausgabe des Buches zuzulegen.Allerdings weiss Klimek auch, „dass in den europäischen Moscheen vornehmlich ein rückwärtsgewandter Islam gelehrt wird“. Wie es unterschiedliche Varianten „des Islam“ überhaupt geben kann, da der Koran doch „nicht interpretierbar“ ist, bleibt Klimeks Geheimnis. Darüber denkt der Mann aber nicht weiter nach, ist der Islam doch für ihn „eine im Kern faschistische Religion“. Man könnte jetzt vieles über das bemerkenswerte Verständnis von „Faschismus“ schreiben, das einer derartigen Aussage zugrunde liegt. Aber darum geht es hier nicht. Klimek will darüber reden, was tabuisiert wird. Die FPÖ habe den „Diskurs“ in Österreich derart vergiftet, dass man bestimmte Wahrheiten nicht mehr aussprechen dürfe.
Etwa, dass es zu viel Zuwanderung gebe, dass der Islam eine grosse Gefahr sei etc. Darüber rede niemand, so Klimek. Nicht weil es rechtsradikaler Blödsinn ist, sondern weil es von den „Gutmenschen“ tabuisiert sei, so etwas auszusprechen. „Deswegen spricht die FPÖ die Wahrheit“, schreibt Klimek im Vice. „Wenn die FPÖ sagt, der Islam sei ein Problem, dann kann der Islam gar kein Problem sein, weil alles, was die FPÖ sagt, nur blosse Hetze ist, die man schlicht ignorieren muss“, karikiert Klimek den Diskurs der von ihm identifizierten wohllebigen, linksgrünen Anständigkeits-Spiesser. „An derartigen Denkmustern geht das letzte Bisschen (sic!) offene Gesellschaft in Österreich zugrunde.“ Und schuld dran ist die FPÖ, weil die Klimeks Wahrheiten zu primitiv artikuliert.
Genug davon. Wie geht's jetzt weiter? Munter in den Kulturkampf? Weil eh schon alles egal ist? Oder einfach mal wieder ein paar Fragen stellen, die sich ausserhalb der Zirkeldiskussion um „den Islam“ bewegen. Dann bekommt man auch ein paar Antworten. Wie zum Beispiel jene, die der Sozialarbeiter Fabian Reicher bereits vor Monaten auf Fragen nach der Ursache für den Salafismus-Hype bei europäischen Jugendlichen gegeben hat. Reicher sprach damals vom Krieg in Syrien, von Ausgrenzung in westlichen Metropolen, von Perspektivenlosigkeit und einem versagenden Bildungssystem. Und Reicher machte etwas, das tatsächlich tabuisiert zu sein scheint in diesen Tagen, er thematisierte die soziale Frage ganz grundsätzlich: „Natürlich müsste die Schere zwischen arm und reich geschlossen werden. Das ist die Wurzel allen Übels.“